Text: Elisa Köhler | Sparring: Jörn Utermann & Leon Cassian Hammer | Korrektorat: Judith Begiebing | Stimme: Friederike Niermann |

✔️
Im Sprint

- Beim Clean Eating wird auf verarbeitete Lebensmittel verzichtet, wobei diese nicht eindeutig definiert sind und die Ernährungsform deswegen sehr unterschiedlich praktiziert wird

- Die NOVA-Klassifikation ordnet Lebensmittel auf Grundlage ihres Verarbeitungsgrades in vier Gruppen ein

- Der strikte Verzicht auf bestimmte Lebensmittel(-gruppen) kann sich negativ auf das körperliche und psychische Wohlbefinden auswirken

A. Paleo, Vegan, Keto … was ist dran?

„The perpetual diet wars between factions promoting low-carbohydrate, keto, paleo, high-protein, low-fat, plant-based, vegan, and a seemingly endless list of other diets has led to substantial public confusion and mistrust in nutrition science“ (Hall, 2019)

Wie von Hall (2019) beschrieben, existieren mittlerweile verschiedenste Ernährungs- sowie Diätformen, wie Paleo, Intervallfasten, Veganismus, ketogene Ernährung und noch viele mehr. Oftmals wird postuliert, dass die beworbene Ernährungsform die einzig Richtige und für alle Menschen geeignete Form der Ernährung sei. Vor diesem Hintergrund sollen in den folgenden Beiträgen zwei kontrovers diskutierte Diäten, das Clean Eating sowie die Low-Carb-Diät, näher betrachtet werden.

B. Zurück zum Ursprung - naturbelassene Ernährungsweise

Ein Ernährungstrend, welcher immer mehr Anklang im Bodybuilding sowie auf Social-Media-Plattformen erhält, ist das sogenannte Clean Eating. Damit gemeint ist eine Ernährungsweise, welche sich laut Monteiro (2013) primär auf naturbelassene Produkte stützt und verarbeitete Lebensmittel vermeidet.

audio-thumbnail
Ernährung 8: Ernährungsformen auf dem Prüfstand
0:00
/9:12
„Choosing foods that are natural and wholesome—particularly foods that are free of chemicals, additives and preservatives, and refined, processed ingredients“ (Monteiro, 2013)

Nach Allen (2018) macht Clean Eating bereits 40 % der praktizierten Ernährungsweisen der 18 bis 30-Jährigen in Großbritannien aus, weshalb sich ein genauerer Blick auf diese Ernährungsweise lohnt. Im folgenden Abschnitt soll erörtert werden, was Clean Eating beinhaltet und welche Kritikpunkte dazu geäußert werden.

B.1 Verarbeitete Lebensmittel

Obwohl die Vermeidung verarbeiteter beziehungsweise hoch-verarbeiteter Lebensmittel wesentlich für eine Ernährung nach dem Clean-Eating-Konzept ist, existiert keine einheitliche Definition dieser Begriffe. Eine Möglichkeit der Unterteilung ist die NOVA-Klassifiaktion von Lebensmitteln, welche Produkte je nach Verarbeitungsschritten in vier Gruppen einteilt:

Zur ersten Gruppe gehören Lebensmittel, welche über minimale Verarbeitungsschritte wie Zerkleinern, Trocknen, Rösten oder Fermentieren konserviert und damit lagerungsfähig gemacht werden. Hierunter fallen frisches oder gefrorenes Gemüse und Obst, unverarbeitetes Fleisch, pasteurisierte Milch, Naturjoghurt, Kaffee und Tee.

In der zweiten Gruppe werden durch Pressen, Mahlen sowie Raffinieren von Lebensmitteln der Gruppe eins Zutaten zum Kochen oder Würzen gewonnen. Zu diesen gehören unter anderem Öle, Honig, Sirup, Zucker, Salz und Essig.

Gruppe drei sind verarbeitete Lebensmittel. Hierfür werden Lebensmitteln aus der Gruppe zwei für die Zubereitung von Produkten aus der Gruppe eins verwendet. Dadurch wird die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängert und die sensorischen Eigenschaften verbessert. Durch Verfahren wie Pökeln, Backen, Fermentieren oder Räuchern werden also Brot, Käse, Nudeln, geräuchertes Fleisch oder Obst-, Gemüse- und Hülsenfrüchtekonserven hergestellt.

Hoch verarbeitete Lebensmitteln, die letzte Gruppe der Klassifikation, sind besonders lang haltbar, profitabel, für den Hersteller und verzehrfertig (Monteirao, 2019). Häufig werden Zusatzstoffe beigefügt und Nahrungsmittel hydriert, fraktioniert oder raffiniert, um Fruchtjoghurts, Erfrischungsgetränke, Würstchen oder Fertigprodukte herzustellen.

B.2 Clean Eating im Check

Zunächst einmal ist die Reduzierung des Konsums von hoch-verarbeiteten Lebensmitteln sinnvoll und erstrebenswert. Diese Produkte scheinen unter anderem mit einem gesteigerten Appetit assoziiert zu sein, der dazu führen kann, zu viel hochkalorische, fett-, zucker-, oder salzreiche Lebensmittel zu verzehren (Hall, 2019). Das könnte ein Grund dafür sein, warum ein übermäßiger Konsum von hoch-verarbeiteten Lebensmitteln mit Übergewicht, Diabetes Mellitus Typ 2 oder Herzkreislauferkrankungen im Zusammenhang steht (Pagliai, 2021; Matos, 2021; Lane, 2022). Werden diese Lebensmittelgruppen reduziert, erscheint es nur als logisch, dass dies der Gesundheit zuträglich sein kann. Jedoch wird Clean Eating aus verschiedenen Gründen kritisiert.

Infolge der nicht einheitlichen Definition für verarbeitete Lebensmittel, gibt es auch keine homogene Praxis von Clean Eating. In welcher Ausprägung auf Produkte verzichtet wird, hängt schlussendlich von der Person ab. Dementsprechend werden unter dem Begriff sämtliche Ernährungsweisen zusammengefasst, welche auf unterschiedliche (verarbeitete) Lebensmittelgruppen verzichten. Ist allerdings eine einheitliche Ausführung nicht gegeben, können die gesundheitlichen Effekte durch Clean Eating nur bedingt überprüft werden.

Ein weiterer Kritikpunkt an den Studien zum Konsum, beziehungsweise Verzicht verarbeiteter, Lebensmittel ist, dass die Verzehrdaten auf der Selbstauskunft der Person basieren. Zudem werden die Daten mithilfe von Fragebögen erhoben, welche nicht für die Erfassung von hoch-verarbeiteten Lebensmitteln validiert sind. Insofern müssen die Ergebnisse der Studien unter Vorbehalt betrachtet werden, wie es Marino (2021) beschreibt.

Darüber hinaus wendet beispielsweise Drewnowski (2021) ein, dass die Sichtweise auf verarbeitete Lebensmittel undifferenziert sei. Viele der pflanzlichen Milch- und Fleischersatzprodukte oder fermentierte Nahrungsmittel, wie Sauerkraut und Kimchi, gelten als hoch-verarbeitet, obwohl sie nährstoffreich sind (Capozzi, 2021). Fertiggerichte, welche überwiegend aus natürlichen Lebensmitteln bestehen, können eine schnelle und gesunde Alternative zum aufwendigen Kochen darstellen. Insofern wird auf Produkte verzichtet, welche als „gesund“ angesehen werden können. Clean Eating fördert ein Schwarz-Weiß Denken, welches in der Ernährungsmedizin nicht mehr haltbar ist. Ob ein Produkt gut oder schlecht ist, hängt stark von der Lebensweise und Situation der Person ab. Bei einer ausgewogenen Ernährung ist der gelegentliche Konsum von hoch-verarbeiteten Lebensmitteln nicht schädlich:

When consumed in small amounts and with other healthy sources of calories, ultra-processed products are harmless (Monteiro, 2019).

Vielmehr kann der strikte Verzicht einzelner Produkte die Entwicklung zwanghafter Essverhalten begünstigen (Ambwani, 2019).

Eating disorders represent the third most common chronic illness and the second leading cause of psychological illness for young females in Australia. Both dietary restraint and body dissatisfaction are risk factors for disordered eating (Allen 2018).

Zudem bewerben manche Zeitschriften und Influencer Clean Eating als Allheilmittel gegen Krebs, Übergewicht, Migräne und vieles mehr. Ein übermäßiger Verzicht auf Lebensmittel kann jedoch zu einer Mangelversorgung führen und damit ein gesundheitliches Risiko darstellen. Insbesondere bei Menschen mit Vorerkrankungen sollte deshalb ein Verzicht  nur unter Absprache mit Medizinerinnen oder Ernährungscoaches erfolgen. Dies ist einer der Gründe, weshalbdie British Dietetic Association Clean Eating zur Nummer eins der schlechtesten und zu vermeidenden „Celebrity Diets“ 2017 gekürt hat.

Sich den teilweise übermäßigen Konsum von Zucker- und Fetthaltigen sowie hoch-verarbeiteten Lebensmitteln bewusst zu machen, ist sehr sinnvoll. Insofern kann eine kurze Periode des Verzichts für manche Person ein guter Einstieg in eine bewusste Ernährung sein. Es sollte jedoch immer das Ziel sein, eine Ernährungsweise zu finden, welche konstant durchgeführt werden kann. Denn nur dann kann sie auch gesundheitsförderlich sein.

C. Auf alles verzichten?

Clean Eating bedeutet sowohl einen Verzicht als auch eine Kategorisierung der Lebensmittel in „gut“ und „schlecht“.

Das zwanghafte Weglassen von Lebensmitteln kann zu Unzufriedenheit, Unverständnis im sozialen Umfeld und eingeschränkter Flexibilität bei der Auswahl von Gerichten in Restaurants führen. Infolgedessen werden häufig strenge Diätformen nicht aufrechterhalten (s. Low Carb), allerdings ist Konstanz das A und O einer langfristig gesunden Ernährungsweise.

Werden Lebensmittel strikt in gut und schlecht eingeteilt, können dadurch Nahrungsmittel wegfallen, welche nährstoffreich sind - typische Beispiele hierfür sind Fleischersatzprodukte oder Tiefkühlgemüse. Zudem ist Clean Eating kein klar definierter Begriff, sodass sich der Verzicht je nach Auslegung auf einzelne Lebensmittel oder mehrere Lebensmittelgruppen beziehen kann.

Wie Ambawani (2019) und Allen (2018) zeigen, scheinen junge Menschen jedoch prinzipiell gesundheitliche Vorteile mit solch einer Ernährungsform zu assoziieren. Allerdings können diese Verhaltensweisen in einem geringeren psychischen Wohlbefinden resultieren. Vielmehr noch zeigt die Untersuchung von Ambawani, dass Clean Eating vor allem bei jungen Erwachsenen mit einem gestörten Essverhalten im Zusammenhang stehen kann.

Schlussendlich scheint laut Johnston (2014) im Allgemeinen keine Diätform gegenüber der anderen einen Vorteil zu haben. Sobald sich die Person in einem Kaloriendefizit befindet, kommt es zu einer Gewichtsreduktion. Infolgedessen ist es empfehlenswert, eine individuelle Ernährungsform zu finden, welche langfristig aufrechterhalten werden kann und zudem das Wohlbefinden stärkt.

Aufs Feld

Der eingeschränkte Verzehr ultrahochverarbeiteter Lebensmittel mit vielen Zusatzstoffen, einer niedrigen Nährstoff- bei gleichzeitig hoher Kaloriendichte kann der Gesundheit zuträglich sein. Dennoch ist zu bedenken, dass der zwanghafte Verzicht bestimmter Nahrungsmittel das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen und Essstörungen begünstigen kann. Besteht das Ziel einer Gewichtsreduktion, sollte die Kalorienreduktion, bei zugleich ausreichender Versorgung mit Mikronährstoffen im Vordergrund stehen.

Teile diesen Inhalt