Text: Simon Klug | Sparring: Pat Preilowski & Leon Cassian Hammer | Korrektorat: Judith Begiebing | Stimme: Friederike Niermann |
- Im MI werden 12 road blocks oder Kommunikationssperren unterschieden, die einem aktiven Zuhören und damit der Selbstexploration der Klientin entgegenstehen
- Kommunikationsfallen können zu einer hierarchischen Beziehung führen, welche dem personenzentrierten Ansatz im MI widerspricht
- Zu den Kommunikationsfallen gehören die Diagnose-Falle, die Experten-Falle, die vorschnelle Fokussierung, die Schuldsuche, die Etikettierungs-Falle sowie die Small-Talk-Falle
A. Kommunikationsfallen vermeiden
Wie im vorherigen Artikel (6/10) dargestellt, ist der Umgang mit der Expertinnenrolle in personenzentrierten Kontexten nicht immer leicht. Das Korrigieren „falscher“ Kognitionen oder Strategien und das Anleiten und Führen zum „Richtigen“ oder „Besseren“ geht uns als fachlich kompetenten Helferinnen leicht von der Hand.
Dem righting reflex zu widerstehen ist aber zuerst ungewohnt und es ist schwierig, sich auf die Zunge zu beißen und personenzentriert die andere und ihre Ambivalenzen zu akzeptieren.
In diesem Text soll es nun um weitere Kommunikationsfallen, Sperren und Barrieren (Roadblocks nach Gordon) gehen – und wie man sie geschickt umschifft.

B. Die 12 Kommunikationssperren nach Thomas Gordon
Auf Thomas Gordon, einer der Schüler von Carl Rogers, geht das empathische und reflektierende Zuhören zurück, welches als „das“ aktive Zuhören bekannt ist (Gordon, 1970). Gutes aktives Zuhören lädt die Klientin zur Selbstexploration und Selbstoffenbarung ein und schafft Raum, den die Klientin einnehmen kann. Das Gegenteil davon bezeichnet Gordon als roadblocks oder Kommunikationssperren (Gordon, 1974). Sie sind nicht per se falsch oder schlecht, aber sie sind nicht personenzentriert, unter anderem weil sie Selbstexploration im Weg stehen und nicht dafür sorgen, dass zwei Expertinnen sich auf Augenhöhe unterhalten.
Gordon nennt diese Verhaltensweisen roadblocks, weil sie der Selbstexploration im Weg stehen und weil sie Ablenkungen vom aktiven Zuhören sind. Statt der methodischen Kompetenz einer Expertin gerecht zu werden und aktiv der Klientin zuzuhören, um sie bei der Sortierung und Vertiefung ihrer Gedanken zu unterstützen, baut man eine Kommunikationssperre auf. Diese haben die unangenehme Eigenschaft eine Hierarchie aufzubauen, weil bei Ihnen häufig die Botschaft „Glaube mir – ich weiß Bescheid – ich weiß es besser“ im Subtext mitschwingt.
Um wieder in die gleiche Richtung unterwegs sein zu können, muss man der Barriere ausweichen oder sie abbauen.
Die 12 roadblocks sind:
- Befehlen, Anordnen, Auffordern
- Warnen, Mahnen, Drohen
- Moralisieren, Predigen, Beschwören
- Beraten, Vorschläge machen, Lösungen liefern
- (Ver)Urteilen, Kritisieren, Widersprechen, Vorwürfe machen, Beschuldigen
- Belehren, durch Logik begründen
- Loben, Zustimmen, Schmeicheln
- Beschämen, beschimpfen, lächerlich machen
- Interpretieren, Analysieren, Diagnostizieren
- Beruhigen, Sympathie äußern, Trösten, Aufrichten
- Nachforschen, Fragen, Verhören
- Ablenken, Ausweichen, Aufziehen
Ein kleiner Dialog ohne Zuhören
[Klientin]: „Ich weiß einfach nicht, ob ich zweimal pro Woche trainieren gehen schaffe.“
[Beraterin]: „Also mir hilft immer, wenn ich schon vorher meine Tasche packe und morgens ins Auto lege. Das spart Zeit und wenn ich nach der Arbeit die Sporttasche sehe, dann fahre ich schnell noch ins Studio.“ (#4)
[Klientin]: „Das habe ich schon versucht, aber irgendwie hat es noch nicht richtig geklappt. Ich glaube, für mich ist das nichts.“
[Beraterin]: „Na ja, die Forschung über Verhaltensänderung und Gewohnheitsformierung sagt etwas anderes (#6). Wenn Du das richtig mit Deiner Tasche verknüpfst, dann wirst Du das auch als Gewohnheit etablieren. Vielleicht war die Tasche nicht sichtbar genug? (#5)“
[Klientin]: „Ja, vielleicht ist der Prompt für mich nicht gut. Irgendwie hilft der mir nicht, dass ich mich regelmäßig bewege. Ich schaffe es vielleicht einmal pro Woche.“
[Beraterin]: „Na, das ist doch schon mal was. Besser als nichts auf jeden Fall (#7). Du solltest es aber eigentlich wirklich zweimal pro Woche schaffen (#3). Du weißt doch schon, wie gut Du Dich fühlst, wenn Du Dich bewegt hast. Ich würde Dir wirklich wünschen, dass das klappt.“ (#3)
[Klientin]: „Ich wünsche mir das auch, aber ich fühle mich nicht so, als würde ich vorwärtskommen. Manchmal fällt es mir einfach so schwer und wenn ich dann die Tasche sehe, bekomme ich direkt ein schlechtes Gewissen.“
[Beraterin]: „Manchmal muss man sich einfach zwingen. Ich bin mir sicher, dass Du das packst. (#10). Du hast Dich schon stark verbessert und viele Fortschritte gemacht (#7) – es scheitert gerade nur noch ein wenig an der Umsetzung (#8).“
MI ist das kollaborative, direktive Auflösen von Ambivalenzen. In diesem kurzen Dialog wurde keine Zweiseitigkeit erkundet, sondern vorschnell eine Richtung fokussiert und Lösungen der Expertin ungefragt angeboten. Das kann sicherlich bei einer Verhaltensänderung helfen, aber es ist kein MI. MI beinhaltet als zentrales Werkzeug das aktive Zuhören, bei dem die Ambivalenz erkundet werden soll. Stattdessen hat die Klientin hier nur Zeit damit verbracht, Kommunikationssperren auszuweichen.
C. Besondere Kommunikationsfallen vermeiden
In der Interaktion als fachliche Expertin mit der Klientin kann leicht ein hierarchisches Gefälle entstehen, wenn man in diese besonderen Kommunikationsfallen tappt, die in diesen Kontexten entstehen können.
Kommunikationsfalle | Beschreibung |
---|---|
Diagnose-Falle | Die Trainerin beleuchtet nicht die Ambivalenz der Klientin, sondern treibt die Klientin in eine passive Rolle. |
Experten-Falle | Die Trainerin gibt ungefragt, von oben herab, Ratschläge und stülpt der Klientin ihr Fachwissen über. |
Vorschnelle Fokussierung | Die Trainerin überspringt unabsichtlich Teile des MI-Prozesses ("Beziehungsaufbau" und "Anliegen klären") und beginnt damit ein Problem zu bearbeiten, welches sie als wichtig identifiziert hat. |
Schuldsuche | Das Gespräch kreist um die Suche nach Schuld und fokussiert nicht ressourcenorientiert die Lösungssuche. |
Etikettierungs-Falle | Die Klientin wird einer Kategorie zugeordnet. |
Small-Talk-Falle | Es wird ein nettes Gespräch auf Augenhöhe geführt, welches aber keine klare Richtung hat. |
Beispielhaft seien hier noch zwei der Fallen etwas detaillierter aufgeführt:
C.1 Experten-Falle (expert trap)
In klientenzentrierter Arbeit wird ein Verhältnis auf Augenhöhe angestrebt. Immer, wenn eine Hierarchie etabliert wird, besteht die Gefahr, dass die Klientin sich zurückzieht und weniger beisteuert als die Beraterin.
Ein listenartiges Abfragen, wie etwa bei einer Anamnese, etabliert schnell „ich bestimme hier“ und steht so einer gleichberechtigten Mitarbeit im Weg. Außerdem entsteht auch leicht die unbewusste Überzeugung, dass die Beraterin nur genügend Informationen sammeln muss, um das Problem der Klientin zu lösen. MI aber postuliert, dass die Beraterinnen die Antworten, ohne die Mitarbeit und Expertise der Klientinnen, eben nicht haben kann.
C.2 Vorschnelle Fokussierung (premature focus trap)
Wenn die Beraterin zu schnell ein mögliches Problem als solches identifiziert hat, das sie selbst als wichtig empfindet, ohne vorher nicht sorgfältig die Prozesse engaging und focusing durchlaufen zu haben, wird versucht, eine Lösung zu finden, ohne dass eine tragfähige Beziehung etabliert wurde. Auch wurde das Anliegen nicht geklärt und keine Ziele vereinbart. Die Falle hierbei ist, dass die Beraterin nun versucht über ihr (identifiziertes) Problem zu sprechen, während die Klientin über ihre Probleme reden möchte.
D. Das Gegenteil von Fallen
Die roadblocks und Fallstricke stehen als Symbol dafür, wie und wo die Interaktion in eine unproduktive, beraterzentrierte Richtung laufen können. Sie haben alle gemeinsam, dass hier nicht die Ambivalenzen der Klientin beleuchtet werden, was dazu führt, dass die Rolle der Klientin kleiner, passiver und schwächer wird.
Mit MI soll das Gegenteil erreicht werden: aktive Kollaboration und mündiges empowerment. Die Klientin soll mit ihren Ressourcen, ihrem Know-How, ihren Strategien einbringen. Hierzu kann es in der Interaktion erforderlich sein, aktiv einen Raum dafür zu schaffen.
Miller und Rollnick erkennen fünf Faktoren, die es der Klientin leichter machen, sich einzubringen und aktiv mitzuarbeiten:
- Wünsche und Ziele: Wonach sucht die Klientin?
- Wichtigkeit: Was sind die Prioritäten der Klientin?
- Positivität: Welche Erfahrungen macht Sie? Fühlt sie sich wohl, willkommen, wertgeschätzt und respektiert?
- Erwartungen: Erfüllt die Interaktion ihre Erwartungen?
- Hoffnung: Ist sie überzeugt, dass ihr die Interaktion etwas bringt?
Wenn die Interaktion zwischen beiden Parteien in diese Richtung tendiert, dann ist das ein guter Indikator für wirksame klientenzentrierte Arbeit auf Augenhöhe.
E. Take-away
Wenn man die personenzentrierte Grundhaltung an den Tag legt und sich von den Prinzipien leiten lässt, dann wird man die meisten Kommunikationsfallen- und Barrieren im Regelfall nicht antreffen. In den Kontexten, in denen die Trainerin aber Rat anbieten soll, entsteht automatisch ein hierarchisches Gefälle, welches besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Gleichzeitig kann man, wenn man die Haltung an den Tag legt und die Prinzipien beachtet, die Kollaboration unterstützen.
Die Kommunikation zwischen Beraterin und Klientin sollte durch das Vermeiden von Kommunikationssperren und -fallen vonseiten der Beraterin auf Augenhöhe vonstatten gehen. Gefördert werden kann dies weiterhin durch das Beachten von Wünschen, Zielen und Prioritäten der Klientin, das Erfüllen von Erwartungen hinsichtlich der Interaktion sowie das Hervorrufen von Positivität und Hoffnung.
Literatur
- Miller & Rollnick. Motivational Interviewing. Helping People Change. 3rd Edition. (2013)
- Miller, Rollnick, Butler. Motivational Interviewing in Health Care: Helping Patients Change Behavior. (2008)
- Rollnick, Fader, Breckon, Moyers. Motivational Interviewing in Sports. Coaching Athletes to Be Their Best. (2020).
Eine primäre Recherche- und Leseempfehlung sind die Bücher von Miller & Rollnick selbst. Hier kann die Methode im Ganzen verzerrungsfrei (theoretisch) erfasst werden und reichhaltige Foot- oder Endnotes bündeln vorhandende Evidenzen.
Weiterführender Inhalt
Einen ersten Blick auf MI kann man im Interview mit Uli Gehring von GK Quest werfen.
Für Physiotherapeutinnen besonders interessant ist ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Messner, der sich insbesondere mit MI in der Physiotherapie beschäftigt.
Etwas umfangreicher (1h 6min) ist der PhysioBib Podcast mit Prof. Dr. Thomas Messner, bei dem es auch um MI in der Physiotherapie geht.
Wer Motivational Interviewing als Präsenzkurs oder in der Onlinevariante bei Thomas Messner erleben möchte, wird bei BEST fündig. Angeboten wird zurzeit ein Grundkurs, der sich vor allem an Therapeutinnen und Trainerinnen richtet.
Wer mehr über Motivational Interviewing lesen möchte, dem seien als Erstes die oben genannten Bücher von Miller & Rollnick ans Herz gelegt. Ein erster Blick in die Evidenz ist leicht via der Foot- und Endnotes möglich.
Wer tiefer in die wissenschaftliche Seite und Evidenz hinter der Methode einsteigen will, kann einen Blick in die angeführte Fachliteratur und in freizugängliche Primärquellen (etwa via PubMed oder Google Scholar werfen). Hierbei ist erwähnt, dass MI eine Methode ist und dann in vielen unterschiedlichen Kontexten untersucht wurde und wird, man also konkrete Fragestellungen, bei denen MI angewendet wurde, sucht. Es bietet sich also an, die eigene Fragestellung mit der Zielpopulation und den gewünschten Outcomes selbst zu recherchieren.
Beispielhaft finden sich einige Belege der höheren hierarchischen Ebenen hier:
- Rubak et al (2005). "Motivational interviewing: a systematic review and meta-analysis."
- Frost et al (2018) zur Wirksamkeit von MI als Intervention zur Verhaltensänderung bei Erwachsenen im Kontext von health und social care: ”Effectiveness of Motivational Interviewing on adult behaviour change in health and social care settings: A systematic review of reviews."
- Maslowski et al (2021) zur Wirksamkeit von MI im Kontext des Lernens: ”A systematic review and meta-analysis of motivational interviewing training effectiveness among students-in-training.”
- Armstrong et al (2011) zur Wirksamkeit von MI im Kontext der Gewichtsreduktion: "Motivational interviewing to improve weight loss in overweight and/or obese patients: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials."
- Alperstein & Sharpe (2016) zur Wirksamkeit von MI im Kontext von chronischen Schmerzen: "The Efficacy of Motivational Interviewing in Adults With Chronic Pain: A Meta-Analysis and Systematic Review"
- Bei Vong et al (2011) wird MI als Teil einer Strategie zusätzlich zu physiotherapeutischen Interventionen eingesetzt, um Behandlungsergebnisse zu verbessern und die Motivation zu erhöhen. "Motivational enhancement therapy in addition to physical therapy improves motivational factors and treatment outcomes in people with low back pain: a randomized controlled trial"
MI als eine evidenzbasierte Methode zur Verhaltensänderung kann in vielen Kontexten und Populationen eingesetzt werden. Diese kurze und breite Auflistung soll einladen, konkrete Fragestellungen selbst zu recherchieren.
Für die weiteren Artikel dieser Serie ist anzumerken, dass nun die Methode “von Innen heraus” dargestellt wird, nachdem die grundsätzliche Wirksamkeit etabliert wurde. Es soll ein Hereinschnuppern in Motivational Interviewing ermöglichen und die Anwenderinnen motivieren sich auf die Methode, auf eine personenzentrierte Haltung und ihre Techniken einzulassen. Außerdem können die Texte vielleicht als kleines Nachschlagewerk dienen, die die Anwendung erleichtern.
Interessenkonflikt
Der Autor, Simon Klug, unterrichtet MI an Fach- und Hochschulen und ist als Seminarleiter für MI tätig.