Theorie des Lernens 8:

4 Säulen des Lernens von Dehaene - Fehler Rückmeldung (Error Feedback)

A. Fehler machen ist der natürlichste Weg um zu Lernen

Es ist nahezu unmöglich, etwas Neues zu lernen, ohne am Anfang Fehler zu machen. Sofern aber eine Rückmeldung darüber erfolgt, was verbessert werden kann, treten in der Regel jedoch mit der Zeit weniger Fehler auf. Die Fehlerrückmeldung stellt aus diesem Grund auch die dritte Säule des Lernens nach Dahaene dar. Dabei bestimmt die Genauigkeit und Qualität der Rückmeldung, wie schnell etwas Neues gelernt wird.

B. Überraschung als Antriebskraft des Lernens

„Organisms only learn when events violate their expectations.” (Rescorla & Wagner, 1972)

Die Forscher Robert Rescorla und Allan Wagner formulierten 1972 folgende Hypothese: das Gehirn lernt ausschließlich, wenn es eine Lücke zwischen seiner Vorhersage (Predicition) und den tatsächlich ankommenden Reizen wahrnimmt. Dieser Annahme zufolge ist Lernen ohne ein Fehlersignal unmöglich.

Ausgehend davon, entwickelten die beiden Forscher ein mathematisches Modell, das die klassische Konditionierung und einige ihrer wichtigsten Effekte vorhersagbar machen sollte. Laut ihrer Grundannahme kann ein Reiz nur dann als guter Prädiktor zum Vorhersagen von Effekten dienen, wenn er überraschend ist. Die Überraschung wurde also als ein fundamentaler Treiber des Lernens in den Mittelpunkt gestellt. Bei Anwendung der Theorie auf das klassische pavlovesche Hundeexperiment, werden sensorische Inputs (Ton der Glocke) vom Gehirn genutzt, um die Wahrscheinlichkeit eines nachfolgenden Stimulus (Nahrung) vorherzusagen. Im Einzelnen läuft das wie folgt ab:

  1. Das Gehirn generiert eine Vorhersage, indem es eine gewichtete Summe seiner sensorischen Inputs kalkuliert ⇒ Hören der Glocke lässt Nahrung erwarten.
  2. Dann berechnet es die Differenz zwischen dieser Vorhersage und den tatsächlich ankommenden Stimuli: Es handelt sich dabei um den Vorhersage-Fehler, ein fundamentales Konzept der Theorie. An ihm wird der Grad der Überraschung gemessen, der mit jedem Stimulus assoziiert ist ⇒ Wurde wirklich die Glocke gehört? Oder ein ähnliches akustisches Signal? Wird gleichzeitig auch wirklich die Nahrung serviert?
  3. Danach verwendet das Gehirn das Überraschungssignal zur Korrektur seiner internen Repräsentation: Das interne Modell verändert sich in direkter Proportionalität sowohl zur Stärke des Stimulus als auch zum Wert, der dem Vorhersage-Fehler beigemessen wird. Die nächste Vorhersage wird gemäß dieser Regel näher an der Realität sein ⇒ Kam die Nahrung an, hat sich die Vorhersage bestätigt und wird nächstes Mal wieder so getroffen. Falls nicht, muss evaluiert werden, ob der Ton der Glocke wirklich immer mit der ankommenden Nahrung in Verbindung steht.
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Theorie des Lernens 8: 4 Säulen des Lernens von Dehaene - Fehler Rückmeldung (Error Feedback)
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Rescorla & Wagners Theorie enthält die drei bisherigen beschriebenen Säulen des Lernens. Demnach kommt es zum Lernen, wenn das Gehirn die passenden sensorischen Inputs auswählt (Aufmerksamkeit), diese verwendet, um eine Vorhersage zu treffen (Aktives Beschäftigen) und die Genauigkeit der Vorhersage evaluiert (Fehler Rückmeldung). Die Theorie von Rescorla & Wagner hatte einen bedeutenden Einfluss in der Wissenschaft, da sie eine große Verbesserung gegenüber vorherigen Theorien darstellte. Bis dahin basierten sie auf dem Konzept des assoziativen Lernens. Diesem Konzept zufolge lernt das Gehirn lediglich den Ton der Glocke mit Nahrung zu assoziieren, anstatt Vorhersagen anhand eines Stimulus zu treffen. Laut dem assoziativen Blickwinkel nimmt das Gehirn also jegliches Zusammentreffen zwischen Stimuli und Antworten in einer rein passiven Weise auf. Diese Idee ist aber, wie man mittlerweile weiß, selbst für die pavlovsche Konditionierung falsch. Auch das Hirn eines Hundes ist kein passives Organ, dass Assoziationen absorbiert. Lernen ist ein aktiver Prozess und hängt vom Grad der Überraschung ab, der mit der Störung einer Erwartung in Verbindung steht.

Eines der stärksten Gegenargumente zur assoziativen Theorie stellt die sogenannte „Blockierung“ (engl: forward blocking) dar (Beckers et al., 2006). In Blockierungsexperimenten bekommen Tiere zwei sensorische Hinweise, etwa eine Glocke und ein Licht, die beide die Ankunft von Nahrung vorhersagen und hintereinander präsentiert werden. Das Experiment startet also mit dem Licht, wodurch das Tier lernt, dass Licht die Ankunft von Essen vorhersagt. Erst danach wird gleichzeitig mit dem Licht die Glocke eingeführt. Zuletzt wird der Effekt beim ausschließlichen Ertönen der Glocke getestet. In den entsprechenden Experimenten wurde dabei keinerlei Auswirkung des alleinigen Glockentons auf den Speichelfluss der Tiere festgestellt. Daraus entstand die Idee, dass die erste Assoziation (Licht und Nahrung), die zweite Assoziation (Glocke und Nahrung) blockieren könnte. Das Tier weiß also, dass Licht die Ankunft von Nahrung vorhersagt und generiert deshalb keinen Vorhersage-Fehler während des zweiten Teils des Tests. Durch das Ausbleiben einer Fehlermeldung findet somit keine Lernerfahrung statt.

Wichtig ist hierbei noch festzuhalten, dass es sich bei dem sogenannten Fehlersignal nicht wirklich um einen Fehler beim Erlebten handeln muss. Es ist lediglich ein internes Fehlersignal im Gehirn, welches eine Diskrepanz zwischen dem Erwarteten und dem Tatsächlichen aufwirft. Besteht bei der Beantwortung einer 50:50 Frage Unsicherheit, es wird aber zufällig richtig geraten, tritt kein tatsächlicher Fehler auf. Lernen findet trotzdem statt, da die Rückmeldung, dass die Antwort richtig ist, eine neue Information darstellt, die so nicht erwartet wurde. Es zählt also das explizite Feedback, dass die Unsicherheit der Lernenden reduziert. Seit den 70er-Jahren konnte die Regel „Keine Überraschung, kein Lernen“ bei verschiedensten Tieren bestätigt werden (z.B. Stahl & Feigenson, 2015).

C. Fehler Rückmeldung ist nicht synonym mit Bestrafung

Fehlersignale können dafür genutzt werden, um effizienter zu lernen. Wie bereits angesprochen, ist dabei wichtig, dass die Lernenden eine schnelle und genaue Rückmeldung erhalten, die ihnen explizit zeigt wo der Fehler lag und was stattdessen getan hätte werden können. Diese Fehlerrückmeldung darf keinesfalls mit einer Bestrafung verwechselt werden. Es gibt keine Strafe für einen Fehler, sondern es wird lediglich mitgeteilt, welche Antworten falsch waren. In einer Meta-Analyse von John Hattie (2008) konnte gezeigt werden, dass die Qualität des Feedbacks, das Schüler erhalten eine Determinante für ihren Erfolg zu sein scheint. Das Setzen eines klaren Lernziels und die Möglichkeit es graduell zu erreichen, ohne unumgängliche Fehler zu dramatisieren, scheint der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Im Sportkontext könnte beispielsweise eine Aussage wie „du hast den Ball schlecht zurück gespielt“ wie folgt formuliert werden: „wenn du den Ball mittiger triffst, kommt er besser bei deiner Mitspielerin an“. Gerade im Kindes- und Jugendalter scheint diese Art der Rückmeldung besonders wichtig zu sein (Palminteri et al., 2016).

D. Ein „Growth Mindset“ etablieren

Obwohl sich dieser Artikel nicht primär an Lehrerinnen in Schulen widmet, soll abschließend kurz auf die Problematik von Schulnoten im Lernkontext eingegangen werden. Werden sie innerhalb der dargelegten Lerntheorie betrachtet, stellen sie nichts anderes als eine Belohnung, beziehungsweise Bestrafung dar. Zudem sind sie unpräzise und sagen nichts darüber aus warum etwas fehlerhaft war und wie es korrigiert werden kann. Eine Note 6, die ohne weitere Informationen präsentiert wird, stellt also im schlimmsten Fall -abgesehen vom sozialen Stigma der Inkompetenz- keinerlei Informationen bereit. Zusätzlich treffen Noten meist verspätet ein, wenn Schülerinnen häufig bereits vergessen haben, durch welches innere Reasoning sie ursprünglich zu den Antworten gekommen sind.

Auch Trainerinnen und Therapeutinnen werden nicht selten mit dem Ergebnis dieser institutionellen Praxis konfrontiert. „Ich war schon immer unsportlich“, „Sport hat mir schon in der Schule keinen Spaß gemacht“ oder „Ich war schon in der Schule schlecht in Sport“ sind in der Praxis immer wieder anzutreffende Aussagen. Um solchen Erfahrungen langfristig und nachhaltig entgegenzuwirken ist es unabdingbar, dass sich das Schulsystem verändert. Da der Einfluss von Trainerinnen und Therapeutinnen darauf jedoch sehr gering ist, soll der Fokus hier zuletzt darauf liegen, wie mit solchen Aussagen in der Therapie oder im Training umgegangen werden kann. Die Psychologin Carol Dweck hat viel zu den negativen Effekten geforscht, die mit einer solchen mentalen Disposition zusammenhängen. Die eigenen Misserfolge (oder Erfolge) auf einen festen, unabänderlichen Aspekt der eigenen Persönlichkeit zurückzuführen nennt sie ein „fixed mindset“. Sie kontrastiert diesen mit der Idee, dass alle Menschen fähig sind, Fortschritte zu machen, was als „growth mindset“ bezeichnet wird. Therapeutinnen oder Trainerinnen können entsprechend versuchen in solchen Kontexten ihren Klientinnen die geistige Haltung mitzugeben, dass jeder alles schaffen kann, dass es nie zu spät ist, etwas neues zu lernen und dass Fehler nicht gleichbedeutend mit “wenig Talent” sind. Dwecks Forschung zeigt, dass eine solche Mentalität eine wichtige Rolle beim Lernen zu spielen scheint, wenn alle anderen Faktoren gleich sind (mehr dazu beim weiterführenden Inhalt).


Literatur

  1. Beckers, T., Miller, R. R., De Houwer, J., & Urushihara, K. (2006). Reasoning rats: forward blocking in Pavlovian animal conditioning is sensitive to constraints of causal inference. 10.1037/0096-3445.135.1.92
  2. Brady, A., & Alleyne, R. (2017). Resilience and growth mindset in sport and physical activity. eBook ISBN: 9781315304397
  3. Dehaene, S. (2020). How we learn: Why brains learn better than any machine... for now. ISBN 9780525559887.
  4. Dweck, C. (2016). What having a “growth mindset” actually means. https://hbr.org/2016/01/what-having-a-growth-mindset-actually-means
  5. Yeager, D. S., & Dweck, C. S. (2020). What can be learned from growth mindset controversies? https://psycnet.apa.org/doi/10.1037/amp0000794
  6. Hattie, J. (2008). Visible learning: A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. https://doi.org/10.4324/9780203887332
  7. Palminteri, S., Kilford, E. J., Coricelli, G., & Blakemore, S. J. (2016). The computational development of reinforcement learning during adolescence. https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1004953
  8. Rescorla, R. A. & Wagner, Allan R. (1972). A theory of Pavlovian conditioning: Variations in the effectiveness of reinforcement and nonreinforcement. https://www.researchgate.net/publication/233820243_A_theory_of_Pavlovian_conditioning_Variations_in_the_effectiveness_of_reinforcement_and_nonreinforcement
  9. Stahl, A. E., & Feigenson, L. (2015). Observing the unexpected enhances infants’ learning and exploration. https://doi.org/10.1126/science.aaa3799.

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