Text: Simon Klug | Sparring: Pat Preilowski & Leon Cassian Hammer | Korrektorat: Judith Begiebing | Stimme: Friederike Niermann |

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Im Sprint

- Im Prozess des Hervorlockens von Motivation soll unter der Zuhilfenahme der Grundtechniken der sogenannte Change Talk evoziert werden, welcher jegliche Aussage der Klientin hinsichtlich einer Veränderung bezeichnet

- Change Talk wird durch offene Fragen zu Wünschen, Fähigkeiten, Gründen und Dringlichkeit in Bezug auf die Veränderung gefördert

- Sustain Talk sind Äußerungen der Klientin gegen eine Veränderung und für das Beibehalten des gegenwärtigen Zustands

A. Change Talk: Äußerungen pro Veränderung

Eines der Ziele von MI ist es, die Klientin als Fürsprecherin der eigenen Veränderung zu gewinnen. Sie soll selbst aussprechen, was sie sich von der Veränderung erhofft, wie sie zu dieser Veränderung kommt, welche Gründe sie für diese Veränderung hat und warum es notwendig ist, sich jetzt zu verändern.

Jede positive Aussage der Klientin über die angestrebte Veränderung wird Change Talk genannt. Der Begriff „Change Talk“ impliziert zwei Dinge: erstens ist es „Talk“, also wirklich getätigte Äußerungen der Klientin, die im Gespräch hervorgelockt werden sollen. Und zweitens sind es Aussagen, die für die Veränderung sprechen. Entweder direkt, in dem das Streben nach dieser Veränderung ausgesprochen wird, oder indirekt, indem eine Ablehnung des Status quo geäußert wird.

Die Aufgabe der Beraterin ist es, diese Äußerungen zu identifizieren, einzuordnen und sanft zu fördern. Die Klientin soll im Verlauf des Gesprächs und der Gespräche mehr und mehr für ihre Veränderung sprechen.

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Motivational Interviewing 5: Change Talk fördern
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Der Prozess des Hervorlockens (3. Evocation) und die Basistechniken (OARSI) sollen diesen Change Talk evozieren. In diesem Prozess wird die Klientin regelmäßig zwei Positionen einnehmen, weil sie ambivalent ist. Sie will sich verändern, aber sie will auch bleiben, wie sie ist. Weil MI ein kollaborativer, direktiver Gesprächsstil ist, mit dem Ziel, die Eigenmotivation einer Person für eine Veränderung zu erhöhen, will die Beraterin die Ambivalenz im Regelfall in Richtung der Veränderung auflösen.

Wenn die Beraterin den ausgesprochenen Change Talk hört, dann hat sie die Chance, die Äußerungen für die Veränderung auszubauen, zu erkunden und zu beleuchten. Personenzentrierte Mittel des MI sind hier unter anderem das aktive Zuhören (insbesondere in den komplexeren Formen) und gute weiterführende offene Fragen, die ebenfalls zur Selbstexploration einladen.

B. Das Fördern von Change Talk

Change Talk will gehört werden. Wenn die Klientin Change Talk äußert, dann will die Beraterin diesen fördern. Das geschieht nicht über ein ausschließliches Sammeln („Was noch? … Und was noch?“). Die Förderung des Change Talk geschieht über den sorgfältigen Einsatz der Grundtechniken in der Haltung von MI im Prozess des Hervorlockens, mit dem spezifischen Ziel diesen Change Talk zu fördern.

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Das Hervorlocken von …

D: Desire: Wünschen

Wie die Klientin gerne wäre. Was sich die Klientin wünscht, erhofft oder erreichen möchte.

  • „Welche Veränderung wünschst Du Dir?“
  • „Was soll sich ändern?“
  • „Was erhoffst Du Dir?“
  • „Was missfällt Dir an der jetzigen Situation?“
  • „Was würde Dir das bringen?“

A: Ability: Fähigkeiten

Strategien, Mittel und Wege, die die Klientin hat. Die eigene Zuversicht in den Erfolg dieser Mittel.

  • „Welche Veränderungen traust Du Dir zu?“
  • „Wie würdest Du vorgehen?“
  • „Was sind Deine Strategien?“
  • „Wie könnte das gelingen?“
  • „Hast Du eine Idee, wie Du das schaffen könntest?“

R: Reasons: Gründe, Motive

Die Gründe, warum die Klientin diese Veränderung anstrebt.

  • „Warum willst Du diese Veränderung?“
  • „Welche Gründe sprechen für eine Veränderung?“
  • „Was stört Dich an der aktuellen Situation?“
  • „Welche Vorteile siehst Du?“
  • „So soll es nicht bleiben … warum?“
  • „Es soll anders werden … warum?“

N: Need: Notwendigkeit, Bedürfnis, Dringlichkeit

Weshalb muss die Klientin jetzt etwas verändern?

  • „Was muss jetzt geschehen?“
  • „Warum kannst Du das nicht mehr aufschieben?“
  • „Wie dringend willst Du Dich hier verändern?“
  • „Wie ernst ist Dir diese Veränderung?“

Die Grundtechniken (OARSI) sollen hier gezielt eingesetzt werden, um den Change Talk Stück für Stück auszubauen. Beispielsweise könnte die Klientin sagen:

Klientin:

„Wenn ich mal wieder zu viel gesessen und es wegen der Termine eine Woche gar nicht zum Sport geschafft habe, dann merke ich das sofort. Der Rücken tut weh, der Nacken tut weh, der Kopf tut weh … da fühle ich mich einfach nicht gut.“

Beraterin:

  • Einfaches aktives Zuhören
    „Du hast einfach zu viel gesessen und bist nicht dazu gekommen, Sport zu machen.“
  • Aktives Zuhören mit dem Ziel die Wünsche zu explorieren
    „Du hättest weniger Schmerzen, wenn Du Dich mehr bewegst.“
  • Komplexes Zuhören
    (Setzt immer eine gute Beziehung und Fingerspitzengefühl voraus)
    „Du schaffst zwar viel auf der Arbeit und gehst mit dem Stress produktiv um, aber eigentlich hast Du das Gefühl, dass Du auf der Strecke bleibst.“
  • Offene Frage mit dem Ziel Strategien zu finden
    „Wie könntest Du die Schmerzen in den Griff bekommen?“
  • Offene Frage mit dem Ziel, die Notwendigkeit oder die Wünsche zu beleuchten
    „Wie fühlt sich eigentlich ein guter Tag an, an dem Du keine Schmerzen hast?“
  • Affirmation des Commitments
    „Du willst eigentlich nicht so viel sitzen und hast fest vor, zum Sport zu gehen.“
  • Affirmation von Fähigkeiten und Notwendigkeiten
    „Du weißt, was Du gegen die Schmerzen tun kannst und Deine Gesundheit ist Dir wichtig.“
  • Zusammenfassung
    „Du weißt, was Dir wichtig ist, Strategien hast Du auch erarbeitet und mit den Schmerzen soll es so nicht weitergehen.“

C. Der Umgang mit Sustain Talk

Wenn die ambivalente Klientin die Seite des Status quo wählt und begründet und erklärt, warum sie diese Veränderung nicht anstrebt, schafft oder braucht, redet sie sich die Veränderungsbereitschaft sukzessive aus. Die Äußerungen, die gegen die Veränderung und für den Status quo sprechen, werden Sustain Talk genannt.

Der personenzentrierte und gleichzeitig direktive Umgang mit Sustain Talk ist nicht einfach. Grundsätzlich können auch hier wieder Techniken zielgerichtet im Spirit angewendet werden, aber es gibt auch strategische Überlegungen. Äußerungen könnten etwa getroffen werden, die die Autonomie der Klientin betonen. Es könnte der Sachverhalt reframed werden und der Klientin so eine neue Perspektive auf die Situation angeboten werden. Wie diese Strategien konkreter aussehen, wird im Text über den Umgang mit Widerstand deutlich (8/10).

Dieser Umgang sorgt dafür, dass sich die Klientin trotz der ambivalenten und vielleicht dissonanten Äußerung validiert und ernst genommen wird. Ihre Autonomie bleibt gewahrt. Vielleicht werden Alternativen und Lösungen aufgezeigt. Ihr Sustain Talk wird kleiner, sie wird weniger Fürsprecherin des Status quo und der Widerstand schmilzt.

D. Kurze Hinweise für die Praxis

Wenn Klientinnen Change Talk äußern, dann macht die Beraterin in der Regel alles richtig. Das Einnehmen der Haltung und somit ein neugieriges Interesse am Change Talk und kollaboratives Explorieren zeigen der Klientin, dass Sie und Ihre Expertise geschätzt werden und Sie die Kontrolle über die angestrebte Veränderung hat.

Eine der zentralen Methoden von MI ist das aktive Zuhören. Gutes aktives Zuhören fördert die Selbstexploration und Selbstoffenbarung. Es schafft Raum, den die andere einnehmen kann. Es verhindert, dass das Gespräch zum „Frage-Antwort-Spiel“ wird. Es nimmt Geschwindigkeit heraus und spielt den Ball zur anderen zurück. Die Klientin kann dann selbst überlegen, wie sie mit dem zugespielten Ball umgehen möchte.

Ein praktischer Hinweis von Miller & Rollnick zum Zuhören ist, dass man im Zweifel immer zuerst zuhören kann. Weiterhin empfehlen sie mehr zuzuhören als Fragen zu stellen, mehr komplex zuzuhören als einfach zuzuhören und mehr offene als geschlossene Fragen zu stellen.

Aufs Feld

Aufgabe von Beraterinnen ist es, Change Talk zu erkennen und durch das Stellen offener Fragen zu fördern. Die der geäußerten Veränderungsbereitschaft zugrundeliegenden Wünsche und Gründe sollten ebenso wie die Dringlichkeit der Veränderung sowie die für die Umsetzung zur Verfügung stehende Strategien erfragt werden. Auf diese Weise können eine ambivalente Haltung reduziert und Aussagen bezüglich einer Veränderung ausgeweitet und gefestigt werden.

Literatur

  1. Miller & Rollnick. Motivational Interviewing. Helping People Change. 3rd Edition. (2013)
  2. Miller, Rollnick, Butler. Motivational Interviewing in Health Care: Helping Patients Change Behavior. (2008)
  3. Rollnick, Fader, Breckon, Moyers. Motivational Interviewing in Sports. Coaching Athletes to Be Their Best. (2020).

Eine primäre Recherche- und Leseempfehlung sind die Bücher von Miller & Rollnick selbst. Hier kann die Methode im Ganzen verzerrungsfrei (theoretisch) erfasst werden und reichhaltige Foot- oder Endnotes bündeln vorhandende Evidenzen.

Weiterführender Inhalt

Einen ersten Blick auf MI kann man im Interview mit Uli Gehring von GK Quest werfen.

Für Physiotherapeutinnen besonders interessant ist ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Messner, der sich insbesondere mit MI in der Physiotherapie beschäftigt.

Etwas umfangreicher (1h 6min) ist der PhysioBib Podcast mit Prof. Dr. Thomas Messner, bei dem es auch um MI in der Physiotherapie geht.

Wer Motivational Interviewing als Präsenzkurs oder in der Onlinevariante bei Thomas Messner erleben möchte, wird bei BEST fündig. Angeboten wird zurzeit ein Grundkurs, der sich vor allem an Therapeutinnen und Trainerinnen richtet.

Wer mehr über Motivational Interviewing lesen möchte, dem seien als Erstes die oben genannten Bücher von Miller & Rollnick ans Herz gelegt. Ein erster Blick in die Evidenz ist leicht via der Foot- und Endnotes möglich.

Wer tiefer in die wissenschaftliche Seite und Evidenz hinter der Methode einsteigen will, kann einen Blick in die angeführte Fachliteratur und in freizugängliche Primärquellen (etwa via PubMed oder Google Scholar werfen). Hierbei ist erwähnt, dass MI eine Methode ist und dann in vielen unterschiedlichen Kontexten untersucht wurde und wird, man also konkrete Fragestellungen, bei denen MI angewendet wurde, sucht. Es bietet sich also an, die eigene Fragestellung mit der Zielpopulation und den gewünschten Outcomes selbst zu recherchieren.

Beispielhaft finden sich einige Belege der höheren hierarchischen Ebenen hier:

MI als eine evidenzbasierte Methode zur Verhaltensänderung kann in vielen Kontexten und Populationen eingesetzt werden. Diese kurze und breite Auflistung soll einladen, konkrete Fragestellungen selbst zu recherchieren.

Für die weiteren Artikel dieser Serie ist anzumerken, dass nun die Methode “von Innen heraus” dargestellt wird, nachdem die grundsätzliche Wirksamkeit etabliert wurde. Es soll ein Hereinschnuppern in Motivational Interviewing ermöglichen und die Anwenderinnen motivieren sich auf die Methode, auf eine personenzentrierte Haltung und ihre Techniken einzulassen. Außerdem können die Texte vielleicht als kleines Nachschlagewerk dienen, die die Anwendung erleichtern.

Interessenkonflikt

Der Autor, Simon Klug, unterrichtet MI an Fach- und Hochschulen und ist als Seminarleiter für MI tätig.

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