Text: Elisa Köhler | Sparring: Jörn Utermann & Leon Cassian Hammer | Korrektorat: Judith Begiebing | Stimme: Friederike Niermann |

A. Alles High Protein

Sogenannte „High Protein“-Lebensmittel sprießen dieser Tage geradezu wie Pilze aus dem Boden. Insbesondere Milch- und Milchersatzprodukte werden mittlerweile mit “reich an Proteinen” beworben. Ebenso gibt es immer mehr Proteinpulver, -riegel oder -drinks zu kaufen. Es stellt sich die Frage, woher der “Hype“ kommt, und welche Vorteile eine proteinreiche Ernährung mit sich bringt.

A.1 Was sind Proteine?

Proteine zählen ebenso wie Kohlenhydrate und Fette zu den Makronährstoffen, und sind der primäre Bestandteil der menschlichen Zelle. Sie dienen sowohl dem Aufbau als auch der Reparatur von Zellen, sowie der Synthetisierung von Enzymen und Hormonen. Ebenso kann durch einen hohen Proteinkonsum über die Beeinflussung von Hormonen - wie Ghrelin, Glucagon-like Peptide-1, Cholecystokinin oder Peptid YY -  Einfluss auf das Sättigungsgefühl genommen werden (Westerterp-Plantenga, 2008; Soenen, 2008). Überdies können Proteine dem Verlust an fettfreier Masse während eines Kaloriendefizits entgegenwirken, was speziell bei Diäten hilfreich sein kann (Moon, 2020). Infolgedessen ist die Proteinzufuhr eine Voraussetzung, um zelluläre Funktionen und damit die Gesundheit aufrechtzuerhalten.

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Die Skelettmuskulatur macht fast die Hälfte der im Körper vorkommenden Proteine aus, 15 % der Proteine befinden sich in strukturellem Gewebe wie Haut und Blut.
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Ernährung 4: Proteine
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Umgangssprachlich werden Proteine auch Eiweiß genannt und bestehen aus Aminosäuren, welche über Peptidbindungen miteinander verbunden sind. Sie lassen sich, ähnlich wie Fette, in essenzielle und nicht essenzielle Aminosäuren unterteilen. Essenziell bedeutet dabei ebenfalls, dass der menschliche Körper die entsprechenden Aminosäuren nicht selbst herstellen kann, sodass sie über die Nahrung zugeführt werden müssen. Nicht-essenzielle Aminosäuren werden hingegen vom Körper selbst produziert

Abb. 1: Darstellung des Proteinturnovers in der Zelle. Eigene Darstellung, angelehnt an Beynon (2005)

Im Körper laufen ständig nebeneinander Aufbau- sowie Abbauprozesse von Proteinen ab. Die aus den abgebauten Proteinen entstandenen Aminosäuren, werden sowohl für den Aufbau neuer Proteine, als auch für weitere Stoffwechselprozesse verwendet, wie es aus der Abbildung 1 ersichtlich wird. Im Mittel beträgt der Proteinbestand des Körpers 16 % der Körpermasse. Ein Erwachsener synthetisiert etwa 300 g Eiweiß pro Tag und baut die entsprechende Menge wieder ab. Der so entstandene Kreislauf wird auch als Protein Turnover bezeichnet.

Als essenzieller Faktor für die Synthese von Hormonen und Enzymen sind Proteine ein lebensnotwendiger Nahrungsbestandteil, welcher einen großen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen hat. Da im Sportbereich insbesondere der Muskelabbau, -aufbau sowie -erhalt von Relevanz ist, wird in diesem Beitrag primär auf die Bedeutung von Proteinen in diesem Kontext eingegangen.

B. Muskelproteinsynthese

Im Sport dreht sich vieles um den Muskelaufbau sowie die Regeneration nach einer Belastung. Insbesondere im Kraftsport wird mittels eines Hypertrophie-Trainings versucht, die Maximalkraft der Athletin zu verbessern. Das Ziel der Ernährung von Sportlerinnen besteht darin, die Proteinzufuhr so auf den Trainingsreiz abzustimmen, dass eine möglichst große positive Proteinbilanz entsteht. Der Anteil der Muskelproteinsynthese sollte in Summe also größer als der Muskelproteinabbau sein, wie es in Abbildung zwei dargestellt ist. Damit Muskulatur aufgebaut werden kann, benötigt es zunächst den entsprechenden mechanischen oder metabolischen Reiz. Über verschiedene Signalkaskaden, etwa das Freisetzen von Wachstumsfaktoren oder dem Einwandern von Satellitenzellen, wird der Umbau von Proteinen in Muskelgewebe angeregt. Hierfür wird das entsprechende Baumaterial, das heißt Makro-, sowie Mikronährstoffe, benötigt. Proteine nehmen jedoch einen besonderen Stellenwert ein. In den letzten Jahren der Forschung hat sich gezeigt, dass sowohl die Menge, Art und Absorptionsgeschwindigkeit als auch der Zeitpunkt der Proteinzufuhr den Muskelaufbau beeinflussen können.

Abb. 2: Schematische Darstellung der MPS-, MPB-Rate über die Zeit. Eigene Darstellung angelehnt an Haff (2015)

B.1 Proteinmenge

Die Menge an benötigten Proteinen hängt stark von der Art, Dauer und Intensität der sportlichen Aktivität ab. Zunächst unterscheidet Haff (2015) zwischen inaktiven und aktiven Menschen, wobei erstere ca. 0,8 g Proteine pro Körpergewicht pro Tag empfohlen wird. Bei einem Körpergewicht von 60 kg entspräche das 48 g.

Die Zufuhr für aktive Menschen muss differenzierter betrachtet werden. So benötigt etwa eine Ausdauersportlerin weniger Proteine als eine Kraftsportlerin.

Im Kraftsport werden laut Morton (2018) zwischen 1,6 - 2,2 g pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag empfohlen.

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Eine Sportlerin mit 60 Kilogramm Körpergewicht sollte circa 120 g pro Tag Protein zuführen. Das entspricht ungefähr 300 g Lachs, 300 g Magerquark, 200 g Kichererbsen (gegart) und 100 g Hüttenkäse. Eine vegane Variante wären 200 g Kichererbsen (gegart), 200 g Tofu, 250 g Tempeh, 75 g Erdnüsse und 50 g Leinsamen.

Das Rechenbeispiel verdeutlicht, dass es durchaus möglich ist, sich auch vegan mit ausreichend Proteinen zu versorgen. Allerdings muss bei dem Entwurf des Ernährungsplans die damit einhergehende Kalorienzufuhr berücksichtigt werden. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein als Veganerin oder Vegetarierin Mahlzeiten mit Proteinpulver zu ergänzen.

Die Menge an Proteinen im Ausdauersport sollte zwischen 1,4 - 1,8 g pro Kilogramm Körpergewicht über den Tag verteilt liegen.

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Für eine Sportlerin mit 60 Kilogramm Körpergewicht bedeutet das eine Proteinzufuhr von 96 g. Das wiederum sind etwa 200 g Lachs, 200 g Hüttenkäse, 80 g Erdnüsse sowie 100 g Magerquark. Mit 250 g Tempeh, 80 g Erdnüsse und 200 g Tofu könnte das Proteinziel ohne tierische Produkte erreicht werden.

B.2 Timing

In Anschluss an einer körperlichen Belastung erhöht sich einerseits die Muskelproteinsynthese, andererseits jedoch auch der Abbau der Muskelproteine. Laut Haff (2015) ist bis zu 48 Stunden nach dem Training die Sensitivität der Muskelzelle für die Aufnahme von Aminosäuren gesteigert, nimmt jedoch innerhalb dieser Zeit immer weiter ab. Infolgedessen wurde häufig empfohlen, innerhalb des sogenannten „anabolen Fenster“, das heißt während der ersten Stunde nach dem Training, eine proteinreiche Mahlzeit zuzuführen. Tatsächlich konnten Untersuchungen von Park (2020) und Macnaughton (2018) den positiven Einfluss einer zusätzlichen Zufuhr von Proteinen nach dem Training auf das Muskelwachstum bestätigen. Jedoch stellt sich die Frage, ob der Effekt auf das Timing zurückzuführen ist, oder auf die allgemein gesteigerte Proteinzufuhr. Eine Metaanlyse von Schoenfeld (2020) kommt zu dem Schluss, dass das Fenster, in welchem Proteine konsumiert werden sollten, deutlich weiter ist und eher 3 bis 5 Stunden beträgt. Aragon (2021) legt beispielsweise den Fokus auf das Peri-Workout Timing, bei welchem sowohl vor, als auch nach dem Training circa 0,4-0,55 Gramm Protein pro Körpergewicht zugeführt werden, wie es aus der Abbildung 3 ersichtlich wird. Diese zusätzliche Proteinzufuhr ist jedoch optional und hängt sowohl vom Proteingehalt der vorherigen Mahlzeit als auch vom Bedarf der Sportlerin ab. Dementsprechend scheint viel eher eine generelle Steigerung der Proteinzufuhr für einen effektiven Muskelaufbau von Bedeutung zu sein (Schoenfeld, 2013, Aragon 2021).

Abb. 3: Periworkout-Timing. Eigene Darstellung angelehnt an Aragon (2021).

C. Proteinquellen

Unterschiedliche Lebensmittel unterscheiden sich in der Zusammensetzung, bestimmt durch deren Aminosäurenprofil und Verdaulichkeit. In der Sportlerinnenernährung muss insbesondere berücksichtigt werden, zu welchem Anteil die für das Wachstum und die Zellreparatur benötigten Aminosäuren absorbiert werden können.

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Die essenzielle Aminosäure Leucin nimmt insbesondere beim Proteinstoffwechsel der Muskulatur eine besondere Rolle ein. Liegt der Fokus auf dem Muskelwaschstum kann der Konsum von leucinreichen Produkten sinnvoll sein (Komar, 2015).

Lebensmittel mit einer hohen biologischen Wertigkeit haben ein ähnliches Aminosäureprofil wie die Muskulatur, was häufig auf tierische Produkte wie Eier, Fisch und Fleisch zutrifft. Pflanzliche Proteinquellen können meistens schlechter verwertet werden. Sie enthalten zwar alle essenzielle Aminosäuren jedoch in einer geringeren absoluten Menge pro 100 g, weshalb man hier von einer geringen biologischen Wertigkeit spricht (Abb. 4).

Abb. 4: Biologische Wertigkeit der Proteinquellen
Despite some contradictions, taken together, most of these studies suggest that the difference between the anabolic effects of plant- and animal-based proteins could be reduced with an adequate (i.e., increased) protein intake. […] Nevertheless, at similar protein intakes, most studies have reported a lower ability of plant-based protein sources to stimulate protein synthesis at the skeletal muscle level and induce muscle mass gain compared to animal-based protein sources, especially in older people. The lower anabolic effect of plant-based protein sources is partly due to their lower digestibility and their lower essential amino acid content, especially leucine, compared to animal proteins.” Aragon (2021), S. 91

Auch wenn pflanzliche Lebensmittel pro 100 g in der Regel weniger essenzielle Aminosäuren enthalten, können sich Veganerinnen dennoch ausreichend mit Proteinen versorgen. Durch die Kombination verschiedener pflanzlicher Eiweißquellen kann eine vollwertige Versorgung an Aminosäuren gewährleistet werden. So können etwa Getreideprodukte mit einem hohen Methonin-Gehalt Threonin- und Tryptophan reiche Hülsenfrüchte ergänzen. Eine vegane Ernährung geht in der Regel mit einer hohen Aufnahme an Ballaststoffen, Mineralien, Vitaminen und gesättigten Fettsäuren einher (Huang, 2015), was sich positiv auf die Gesundheit auswirken kann (s. Beitrag Ernährung und Gesundheit).

D. Fazit

Protein ist ein lebensnotwendiger Makronährstoff, welcher in der Ernährung unter keinen Umständen fehlen sollte. Neben den essenziellen Funktionen wie Zellreparatur, Transport und Signalfunktion, nehmen sie eine entscheidende Rolle im Muskelaufbau ein. Angesichts dessen ist vor allem für Kraftsportlerinnen die optimale Versorgung mit Proteinen von hohem Interesse.

Die Menge an benötigten Proteinen hängt stark von der Konstitution der Sportlerin, der Intensität und Dauer der Belastung, sowie der Qualität der Proteine ab.

Bei der Auswahl von Menge und der Art der Proteinquellen sollte auf die Versorgung mit allen essenziellen Aminosäuren geachtet werden. Obwohl tierische Proteinquellen ein besseres Aminosäureprofil aufweisen, kann auch eine vegane oder vegetarische Lebensweise gut mit einer vollwertigen Eiweißversorgung in Einklang gebracht werden. Je nach Verträglichkeit und Menge an benötigten Proteinen, kann es jedoch durchaus hilfreich sein, Proteinpulver zu supplementieren.

Aufs Feld

Insbesondere Sportlerinnen, welche das Ziel eines Muskelaufbaus verfolgen, ist eine Proteinzufuhr von mindestens 1,6 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag anzuraten. Die gezielte Proteineinnahme vor, während und nach einer Trainingseinheit scheint für muskuläre Adaptionen aber nicht nötig zu sein. Zu beachten ist allerdings die Aufnahme aller essenzieller Aminosäuren sowie die biologische Wertigkeit verschiedener tierischer und pflanzlicher Proteinquellen. Bei einer veganen Ernährung sollte die Gesamtkalorienzufuhr im Blick behalten werden.

Literatur

  1. Aragon (2021). Protein: All of your Burning Questions Answered. First Edition.
  2. Beynon (2005). The dynamics of the proteome: strategies for measuring protein turnover on a proteome-wide scale.
  3. Haff (2015). Essentials of Strength Training and Conditioning. ISBN-10 ‏ : ‎ 9781492501626
  4. Huang (2015). Vegetarian Diets and Weight Reduction: a Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials
  5. Jäger (2021). International Society of Sports Nutrition Position Stand: protein and exercise
  6. Komar (2015). Effects of leucine-rich protein supplements on anthropometric parameter and muscle strength in the elderly: a systematic review and meta-analysis
  7. Macnaughton (2016). The response of muscle protein synthesis following whole‐body resistance exercise is greater following 40 g than 20 g of ingested whey protein
  8. Moon (2020). Clinical Evidence and Mechanisms of High-Protein Diet-Induced Weight Loss
  9. Morton (2018). A systematic review, meta-analysis and meta-regression of the effect of protein supplementation on resistance training-induced gains in muscle mass and strength in healthy adults
  10. Park (2020). The Anabolic Response to Dietary Protein Is Not Limited by the Maximal Stimulation of Protein Synthesis in Healthy Older Adults: A Randomized Crossover Trial.
  11. Schoenfeld (2014). The effect of protein timing on muscle strength and hypertrophy: a meta-analysis
  12. Soeben (2008). Proteins and satiety: implications for weight management
  13. Westerterp-Plantenga (2008). Dietary protein, weight loss, and weight maintenance.

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