Text: Raphael Kollenberg | Sparring: Pat Preilowski | Korrektorat: Pat Preilowski
A. Einleitung
Der Nutzen isometrischen Krafttrainings in der Rehabilitation von Sehnenverletzungen ist speziell aufgrund der analgetischen Effekte dieser Kontraktionsform gegenüber der konzentrischen und exzentrischen Kontraktion inzwischen evident (Rio et al., 2017 & Arampatzis et al., 2021). Bezüglich spezifischer präventiver Effekte des isometrischen Krafttrainings für die Muskel-Sehnen-Einheit, welche über die des traditionellen isotonischen Trainings hinausgehen, sieht die wissenschaftliche Evidenz unabhängig der untersuchten Region deutlich dünner aus (siehe van Rickenbach et al., 2021 für die Achillessehne; Burton & McCormack, 2022 für die Patellasehne und Beatty et al., 2017 für die Hamstrings). Dies hat zum einen mit den grundlegenden Problemen der Prävention und verschiedenen Risikofaktoren zu tun, welche bei der Komplexität von Verletzungen und dessen multifaktoriellen Hintergründen stets zu beachten sind (Edouard & Ford, 2020). Zum anderen kann die unklare Evidenz bezüglich verschiedener Trainingsformen für die Prävention von Sehnenverletzungen auch in einem bislang unzureichend verstanden Einfluss diverser modifizierbarer und nicht-modifizierbarer Risikofaktoren gefunden werden (z.B. Sprague et al., 2018).
B. Anpassung des Sehnengewebes
Die mechanische Anpassung des Sehnengewebes ist im Rahmen des Athletiktrainings und der Physiotherapie von zentraler Bedeutung für dessen Resilienz gegenüber Verletzungen (Arampatzis et al., 2021). Die von körperlichem Training am ehesten modifizierbare Eigenschaft des Sehnengewebes ist die Widerstandsfähigkeit („Steifigkeit“), welche die Funktionalität der Sehne maßgeblich bestimmt (Lazarczuk et al., 2022).
Um Sehnengewebe mechanisch und strukturell adaptieren zu lassen und damit die Steifigkeit zu erhöhen, bedarf es wiederholter Zugbelastungen, welche von der Kontraktion des jeweils zur Sehne gehörigen Muskels hervorgerufen werden. Welche Art der Muskelkontraktion für diese mechanische Zugbelastung auf der Sehne verantwortlich ist, spielt laut aktueller Evidenz sowohl in der Rehabilitation als auch Prävention von Sehnenverletzungen KEINE entscheidende Rolle (Lazarczuk et al., 2022). Wichtig ist lediglich, dass die Sehne im Gegensatz zur Muskulatur grundsätzlich höhere Belastungen benötigt, um entsprechende Adaptationen auszulösen (je nach Quelle > 85% des Kraftmaximums; Arampatzis et al., 2021). Diese Reizschwelle ist im Athletiktraining grundsätzlich sowohl über schweres Krafttraining als auch über die dynamischen Belastungen von intensiven Sprints und Sprüngen realisierbar. Der Isometrie als Kontraktionsform kommt im Vergleich zu dynamischeren Methoden jedoch ein entscheidender Vorteil zugunsten, nämlich das geringere Ausmaß an produzierter Ermüdung durch Muskelschäden und damit auch weniger resultierendem Muskelkater (Oranchuk et al., 2019). Dieser geringere Muskelkater würde es ermöglichen, isometrisches Krafttraining über der beschriebenen Reizschwelle von 85% des Kraftmaximums, beispielsweise auch während der Saison regelmäßig durchzuführen und damit die Sehnensteifigkeit „ganzjährlich“ zu trainieren. Neben den beschriebenen Vorteilen des isometrischen Trainings in Bezug auf dessen resultierenden Muskelkater sowie dessen zuvor beschriebenen analgetischen Effekte bei Sehnenschmerzen, bringt diese Kontraktionsform einige weitere Vorteile gegenüber der Exzentrik und Konzentrik mit sich, welche im spezifischen Kontext der Sehne jedoch weniger relevant sind (z.B. Verbesserung der Kraftproduktion in spezifischen Gelenkwinkeln sowie reliable Maximalkraftmessung in der Leistungsdiagnostik) (Oranchuk et al., 2019).
Um isometrische Trainingsformen für die Sehnenanpassung zu nutzen, ist allerdings auf die Einhaltung einiger mechanischer Rahmenbedingungen zu achten. So können isometrische Kontraktionen nicht in jedem beliebigen Gelenkwinkel zur spezifischen Sehnenanpassung führen. Es ist darauf zu achten, dass Isometrie in Gelenkwinkeln stattfindet, bei denen die Sehne auch tatsächlich einer hohen Zugbelastung (im englischen „Strain“) ausgesetzt ist. Nur dann kann die hoch-intensive Muskelkontraktion durch isometrisches Training auch einen Reiz auf das Sehnengewebe auslösen (Lazarczuk et al., 2022). Da Sehnen jedoch nicht nur in speziellen Winkeln beansprucht werden, sondern über große Bewegungsamplituden arbeiten, ist das prophylaktische Training des Sehnengewebes mit der ausschließlichen Belastung in spezifischen Winkeln nicht getan. Aus diesem Grund scheint auch das klassische isotonische Krafttraining über große Bewegungsamplituden im Sehnentraining seinen Platz zu haben. Ob es sinnvoll ist, Isometrie als ergänzenden Inhalt mit rein prophylaktischen Absichten in das Training einzubauen und ob hiermit strukturell-mechanische Anpassungen der Sehne erzielt werden, welche über die des klassischen dynamischen Kraft- und Athletiktrainings hinausgehen, ist unklar (Lazarczuk et al., 2022).
C. Zusammenfassung
In der Prävention von Sehnenverletzungen ist die Isometrie eine Möglichkeit, einen überschwelligen Reiz an das Sehnengewebe zu senden. Dies kann über dynamische und isotonische Muskelkontraktionsformen jedoch im selben Ausmaß geschehen, solange eine entsprechend hohe Trainingslast gewählt wird. Einer bestimmten Kontraktionsform im Kontext der Prävention von Sehnenverletzungen eine gesonderte Rolle zukommen zu lassen, ist aufgrund einer unzureichenden Evidenzlage dieses Trainingsmethodenvergleichs unzulässig. Das bedeutet jedoch nicht, dass bestimmte Kontraktions- und damit auch Trainingsformen in bestimmten Phasen nicht möglicherweise bevorzugt genutzt werden können (z.B. innerhalb der Saison).
D. Praxistransfer
Bevor speziellen Trainingsmethoden im Kontext der Prävention von Sehnenverletzungen spezielle Aufmerksamkeit gewidmet wird, sollten die grundlegenden Risikofaktoren für Sportverletzungen bedacht werden. Hierzu gehören neben allgemein-gesundheitlichen Aspekten wie Ernährung und Schlaf, mit Fokus auf dem Sehnengewebe vor allem die Belastungssteuerung. Bei entsprechend korrekter Belastungssteuerung deckt ein Athletiktraining, welches schweres Krafttraining in Kombination mit intensiven Sprint- und Sprungbelastungen umfasst, voraussichtlich alle Aspekte der Prävention ab, die unter den praxisrelevanten Rahmenbedingungen (also Trainingszeit, Ermüdung, Muskelkater etc.) realistisch sind. Lediglich bei Athleten, die aus verschiedenen Gründen prädisponiert sind für Sehnenverletzungen (z.B. hohes Volumen intensiver und reaktiver Sprünge), kann das spezifische Sehnentraining als Ergänzung zum normalen Kraft- und Athletiktraining möglicherweise sinnvoll sein, wobei der Isometrie in diesem Fall aufgrund seiner wenig ermüdenden Eigenschaften ein besonderes Potenzial zu kommt. Hierbei kann die „Berliner Methode“ parallel zur Sehnenrehabilitation auch prophylaktisch in das Training integriert werden, um die Sehne widerstandsfähiger zu machen (Arampatzis et al., 2021).
Literatur
Rio et al., 2017, “Isometrie contractions are more analgesic than isotonic contractions for patellar tendon pain: An in-season randomized clinical trial”
Arampatzis, Mersman & Bohm, 2021, “Die “Berliner Methode”. Praktische Empfehlungen für ein Sehnentraining zur Leistungssteigerung, Prävention und Therapie”
Van Rickenbach et al., 2021, “Achilles Tendinopathy: Evaluation, Rehabilitation, and Prevention”
Burton & McCormack, 2022, “Interventions for prevention and in-season management of patellar tendinopathy in athletes: a scoping review”
Beatty et al., 2017, “Rehabilitation and prevention of proximal hamstring tendinopathy”
Edouard & Ford, 2020, “Great challenges toward sports injury prevention and rehabilitation”
Sprague et al., 2018, “Modifiable risk factors for patellar tendinopathy in athletes: a systematic review and meta-analysis”
Lazarczuk et al., 2022, “Mechanical, Material and Morphological Adaptations of Healthy Lower Limb Tendons to Mechanical Loading: A Systematic Review and MetaAnalysis”
Oranchuk et al., 2019, “Isometric training and long-term adaptations; effects of muscle length, intensity and intent: A systematic review”