Text: Simon Klug | Sparring: Pat Preilowski & Leon Cassian Hammer | Korrektorat: Judith Begiebing | Stimme: Friederike Niermann |
- Nachdem eine Veränderungsbereitschaft geäußert wurde, dient die Planung als letzter Prozess im MI der Entwicklung konkreter Bewältigungsstrategien
- Während die ersten drei Prozesse des MI eine Erhöhung der Eigenmotivation anstreben, soll im vierten Prozess geplant werden, wie die intendierte Handlung initiiert und aufrechterhalten werden kann
- WOOP (Wish, Outcome, Obstacle, Plan) ist eine mögliche Strategie, die durch „mentales Kontrastieren“ und Entwicklen von Wenn-Dann-Plänen bei der Umsetzung einer Veränderung helfen kann
A. Planning - der letzte Schritt vor der Handlung
Irgendwann in einem MI-Gespräch sind die Klientinnen an dem Punkt, dass sie mehr darüber sprechen, wie sie die Veränderung umsetzen können und nicht mehr warum, sie sich verändern sollten. Hier können Beraterinnen ihre Klientinnen unterstützen, indem sie etwa personenzentriert einen Ratschlag (von unten) anbieten oder mit ihnen Pläne schmieden.
Planung ist also der vierte und letzte Prozess in MI-Gesprächen. In dieser Phase sollen konkrete Bewältigungsstrategien für Hindernisse bei der avisierten Veränderung entwickelt und deren Umsetzung geplant werden. Es sollen nicht nur spezifische gute Pläne entwickelt werden, sondern es ist auch eine passende Gelegenheit, die Autonomie der Klientinnen zu betonen und deren eigene Lösungen und Entscheidungen zu unterstützen.

B. Warum Pläne schmieden?
Wenn die Bereitschaft zur Veränderung ausreichend gewachsen ist, erhöht das Entwickeln von konkreten Plänen die Wahrscheinlichkeit, dass das gewünschte Verhalten umgesetzt wird.
Eine wesentliche Eigenschaft von schwierigen Veränderungen, bei denen Personen ambivalent sind, ist, dass nicht nur Motivation, sondern auch Volition notwendig ist, um sie umzusetzen. Volition, am ehesten übersetzt mit „Willensstärke“, ist in der Psychologie ein Begriff für das bewusste Umsetzen von Motiven in Resultate. Es müssen Widerstände wie Unlustgefühle oder Ablenkungen überwunden werden, um von der Motivation zur Handlung zu kommen. Dafür braucht es Willensstärke oder Volition.
In den drei vorhergehenden Prozessen wurden eine tragfähige Beziehung aufgebaut, eine konkrete Veränderung ins Auge gefasst und für diese Handlung intrinsische Veränderungsmotivation hervorgelockt. Insbesondere beim Entlocken von Change Talk und Confidence Talk soll die Motivation für das neue Verhalten ergründet und gefördert werden. Während in diesen Prozessen eher die motivationale Phase beleuchtet wird, steht bei der Planung die Volition im Fokus.
In verschiedenen Modellen der Verhaltensänderung wird deutlich, dass es zwischen Denken und Handeln Lücken gibt, die überbrückt werden müssen. Eine sich zu Beginn des Veränderungsprozesses befindliche Lücke stellt die Motivation dar. Wer etwas nicht wirklich will, der gibt den Prozess auf. Eine Lücke, die später im Prozess überbrückt werden will, ist die Motivations-Volitions-Lücke. Wer zwar etwas will, also eigentlich Motivation für eine Sache hat, aber am kleinsten Hindernis schon scheitert und aufgibt, gelangt ebenfalls nicht zu Ergebnissen.
Pläne können in der Lage sein, die Lücke zwischen Motivation und Volition zu schließen und sorgen so eher dafür, dass man vom Gedanken zum Ergebnis, von der Intention zur Handlung, kommt. Peter M. Gollwitzer hat hierfür ein Modell entwickelt, bei dem der sprichwörtliche Rubikon überquert werden soll:

C. Was macht einen guten Plan aus?
Es existieren selbstredend verschiedene evidenzbasierte Interventionen, um Verhaltensänderung mit Plänen zu begleiten und es gibt viel gutes, wissenschaftlich fundiertes Wissen, wie Pläne zu gestalten sind, damit sie ihr Ziel erreichen. Eine Methode, die personenzentriert zum MI und an die richtige Stelle im Prozess passt, haben die Professoren Gabrielle Oettingen und Peter Gollwitzer entwickelt. Bei dieser Strategie wird zuerst “mental kontrastiert” und in Folge konkrete Wenn-Dann-Pläne entwickelt.
Prof. Dr. Oettingen doziert an der Universität Hamburg in der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft und forscht unter anderem zu Verhaltensänderung. Sie konnte in ihren Arbeiten zeigen, dass weder ein optimistisches, positives Denken noch ein rationales und kritisches Auseinandersetzen mit etwaigen Problemen der Umsetzung allein die Wahrscheinlichkeit erhöht, gewünschtes Verhalten umzusetzen.
„Unsere Forschung in den letzten 25 Jahren hat gezeigt: Positive Zukunftsgedanken und -vorstellungen können zwar der Stimmung guttun und dabei helfen, Wünsche zu explorieren – aber bei der Erfüllung der Wünsche können sie ein Problem sein: Sie führen oft dazu, dass man gedanklich das Ziel schon erreicht hat und daher weniger Energie investiert. Positives Denken per se ist nichts Schlechtes, aber es allein erfüllt keine Wünsche. Es braucht dazu noch eine ordentliche Portion Realität im Kopf.“ (Gabrielle Oettingen im Interview mit Ellen Schonter)
Auf Grundlage der Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit entwickelte Oettingen ein Konzept mit dem Namen „mentales Kontrastieren“, welches sowohl die Vorteile von positivem Wunschdenken als auch von kritischer Auseinandersetzung kombiniert. Zur Umsetzung eines Wunsches in die Tat kommt es demnach am ehesten, wenn der gedanklichen Exploration des Wunsches und des Ergebnisses eine Reflexion über mögliche Barrieren erfolgt. Es soll eine gewünschte Zukunft mit der erwarteten Realität verknüpft werden. Mehr zur Entwicklung und zu den Effekten dieses Konzepts findet sich etwa in Oettingens Buch „Rethinking Positive Thinking: Inside the New Science of Motivation“ (deutscher Titel: „Psychologie des Gelingens“).
Die Strategie des Kontrastierens von positiven Gefühlen mit realistischem Umgang möglicherweise auftauchender Problemen wird durch Gollwitzers Bewältigungspläne ergänzt. Die kombinierte Herangehensweise wurde WOOP getauft.
D. WOOP
WOOP steht für die vier folgenden Schritte:
- Wish
- Outcome
- Obstacle
- Plan
- … oder auf Deutsch: Wunsch, Ergebnis, Hindernis, Plan.
Für jede Verhaltensänderung soll also mental kontrastiert und dann Wenn-Dann-Pläne zur Bewältigung von Hindernissen entwickelt werden.
Wish
Nach WOOP stellt sich zu Beginn die Frage „Was ist mein wichtigster Wunsch?“ oder „Was liegt mir wirklich am Herzen?“ Da wir aber WOOP an unsere MI-Prozesse anschließen und wir bereits die ersten drei Prozesse in Gesprächen über Veränderung durchlaufen haben, haben wir relevante und taugliche Anliegen und deren Ambivalenzen identifiziert, fokussiert und Motivation für die Veränderung hervorgelockt. Die Frage nach dem Wunsch soll exploriert werden und erlaubt das Schwelgen in positiver Vorstellung.
Outcome
Bei den Überlegungen zum Ergebnis soll ebenfalls noch positiv imaginiert werden. Im zweiten Schritt soll sich vorgestellt werden, wie das schönste und beste Ergebnis der Erfüllung des Wunsches aussieht und wie es sich anfühlt, sein Ziel zu erreichen und seinen Wunsch zu erfüllen. Wenn man seine Vorstellung vom Ergebnis gefunden hat, stellt man es sich intensiv vor und exploriert die positiven Gedanken und Gefühle.
Obstacle
Im dritten Schritt beginnt das mentale Kontrastieren. Es geht hierbei darum, nicht nur positiv zu sein und naiv auf Barrieren zuzusteuern, sondern etwaige Probleme bereits vorher, durch rationales und kritisches Auseinandersetzen, zu identifizieren. Es soll die Frage gestellt werden, was nun wirklich davon abhält, den Wunsch zu erfüllen.
„Widerständigkeit“, die „andere“ Seite der Ambivalenz, wird die Klientin bereits als Sustain Talk geäußert haben. Einige Barrieren sind also bekannt. An dieser Stelle sollen veränderliche und konkrete Hindernisse nochmals identifiziert und benannt werden, damit man sie realistisch und mit den eigenen Strategien, angehen kann. An dieser Stelle soll der Klientin klar werden, welchen Wunsch sie weiter verfolgen will oder welcher Wunsch verworfen werden soll.
Plan
Im letzten Schritt folgt der konkrete Plan. “Was kann getan werden, um meine Hindernisse zu überwinden?” Gollwitzer schlägt diesbezüglich Wenn-Dann-Pläne vor: „Wenn Hindernis..., dann werde ich diese Handlung ausführen...“.
Wenn-Dann-Pläne unterstützen die Zielrealisierung, indem sie bestimmen, wann, wo und auf welche Art und Weise das Ziel erreicht werden soll. Die Verknüpfung einer antizipierten Situation mit einem zielfördernden Verhalten im Wenn-Dann Format führt dazu, dass die Kontrolle des Handelns an die spezifizierte Situation delegiert wird.
(Faude-Koivisto & Gollwitzer. 2009. Wenn-Dann-Pläne: eine effektive Planungsstrategie aus der Motivationspsychologie.)
Beispielsweise könnte jemand, der sich gesünder ernähren möchte, folgenden Wenn-Dann-Plan machen: “Immer, wenn ich etwas Süßes essen möchte, esse ich zuerst ein Stück Apfel.” Für mehr Bewegung könnte ein Plan sein “Immer, wenn ich vom Schreibtisch aufstehe, mache ich fünf Liegestütze.”
E. Wichtiges, um im MI-Spirit zu WOOPen
Manchmal sind Gespräche über Veränderung zäh und es ist selten leicht, die eigene Expertinnenrolle abzulegen und im personenzentrierten Gesprächsstil zu bleiben, der von überwiegendem “Following” und “Guiding” geprägt ist. Insbesondere das Planen kann dazu verleiten ein anderes Mindset, nämlich das der Führung (”Leading”, “Fixing”) zu übernehmen. Miller & Rollnick bezeichnen das Planen daher als Abfahrtsski: nach dem Hervorlocken ist Motivation vorhanden und dieser steile Hügel ist endlich erklommen. Alles wirkt jetzt leicht und beide Expertinnen wollen gern ins produktive Tun kommen. Sie schnallen sich also die metaphorischen Ski an und die Beraterin rast nun allein voraus. Die Gefahr der Klientin, die eigenen Lösungen zu präsentieren, ist hoch. Deshalb an dieser Stelle auch wieder der Hinweis: resist the righting reflex, vermeide die Expertinnenfalle und evoziere die Lösungen der anderen. Die Klientin muss mit ihren Ski ihren Weg die Piste herunterfinden und die Abfahrt allein fahren können.
Außerdem sind Klientinnen in einem Gespräch über Pläne häufig aktiv beteiligt, weil der Hügel (der Ambivalenz) bereits erklommen wurde und sich inzwischen konkreteren Einzelschritten der Umsetzung widmen kann. Hier werden Klientinnen regelmäßig Change Talk äußern (Desire: „Ja, ich will abends nach der Arbeit laufen gehen und nicht morgens“ oder Ability: „Ich kann ja morgens einfach meine Laufschuhe ins Auto tun“). Dieser Change Talk kann mit den gleichen Mitteln wie in den anderen Prozessen gefördert werden.
Pläne können dabei helfen ein intendiertes Verhalten tatsächlich umzusetzen und sollten deswegen gemeinsam mit der Klientin erarbeitet werden, sobald diese eine ausreichende Motivation und Bereitschaft zur Veränderung geäußert hat. Dabei kann es hilfreich sein neben der gewünschten Veränderung und dem damit einhergehenden positiven Outcome, auch mögliche Barrieren und Hindernisse in der Umsetzung zu beleuchten. Diese können als Grundlage für die Formulierung von Wenn-Dann-Plänen dienen, sodass entsprechende Situationen mit einem zielführenden Verhalten verknüpft und Schwierigkeiten so leichter überwunden werden können. Auch in dieser Phase sollten sich Beraterinnen den Grundprinzipien des MI bewusst sein und ungefragte Ratschläge vermeiden sowie dem righting reflex widerstehen.
Literatur
- Gabriele Oettingen. „Rethinking Positive Thinking: Inside the New Science of Motivation“. (2014)
- Miller & Rollnick. Motivational Interviewing. Helping People Change. 3rd Edition. (2013)
- Miller, Rollnick, Butler. Motivational Interviewing in Health Care: Helping Patients Change Behavior. (2008)
- Rollnick, Fader, Breckon, Moyers. Motivational Interviewing in Sports. Coaching Athletes to Be Their Best. (2020).
Eine primäre Recherche- und Leseempfehlung sind die Bücher von Miller & Rollnick selbst. Hier kann die Methode im Ganzen verzerrungsfrei (theoretisch) erfasst werden und reichhaltige Foot- oder Endnotes bündeln vorhandende Evidenzen.
Weiterführender Inhalt
Einen ersten Blick auf MI kann man im Interview mit Uli Gehring von GK Quest werfen.
Für Physiotherapeutinnen besonders interessant ist ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Messner, der sich insbesondere mit MI in der Physiotherapie beschäftigt.
Etwas umfangreicher (1h 6min) ist der PhysioBib Podcast mit Prof. Dr. Thomas Messner, bei dem es auch um MI in der Physiotherapie geht.
Wer Motivational Interviewing als Präsenzkurs oder in der Onlinevariante bei Thomas Messner erleben möchte, wird bei BEST fündig. Angeboten wird zurzeit ein Grundkurs, der sich vor allem an Therapeutinnen und Trainerinnen richtet.
Wer mehr über Motivational Interviewing lesen möchte, dem seien als Erstes die oben genannten Bücher von Miller & Rollnick ans Herz gelegt. Ein erster Blick in die Evidenz ist leicht via der Foot- und Endnotes möglich.
Wer tiefer in die wissenschaftliche Seite und Evidenz hinter der Methode einsteigen will, kann einen Blick in die angeführte Fachliteratur und in freizugängliche Primärquellen (etwa via PubMed oder Google Scholar werfen). Hierbei ist erwähnt, dass MI eine Methode ist und dann in vielen unterschiedlichen Kontexten untersucht wurde und wird, man also konkrete Fragestellungen, bei denen MI angewendet wurde, sucht. Es bietet sich also an, die eigene Fragestellung mit der Zielpopulation und den gewünschten Outcomes selbst zu recherchieren.
Beispielhaft finden sich einige Belege der höheren hierarchischen Ebenen hier:
- Rubak et al (2005). "Motivational interviewing: a systematic review and meta-analysis."
- Frost et al (2018) zur Wirksamkeit von MI als Intervention zur Verhaltensänderung bei Erwachsenen im Kontext von health und social care: ”Effectiveness of Motivational Interviewing on adult behaviour change in health and social care settings: A systematic review of reviews."
- Maslowski et al (2021) zur Wirksamkeit von MI im Kontext des Lernens: ”A systematic review and meta-analysis of motivational interviewing training effectiveness among students-in-training.”
- Armstrong et al (2011) zur Wirksamkeit von MI im Kontext der Gewichtsreduktion: "Motivational interviewing to improve weight loss in overweight and/or obese patients: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials."
- Alperstein & Sharpe (2016) zur Wirksamkeit von MI im Kontext von chronischen Schmerzen: "The Efficacy of Motivational Interviewing in Adults With Chronic Pain: A Meta-Analysis and Systematic Review"
- Bei Vong et al (2011) wird MI als Teil einer Strategie zusätzlich zu physiotherapeutischen Interventionen eingesetzt, um Behandlungsergebnisse zu verbessern und die Motivation zu erhöhen. "Motivational enhancement therapy in addition to physical therapy improves motivational factors and treatment outcomes in people with low back pain: a randomized controlled trial"
MI als eine evidenzbasierte Methode zur Verhaltensänderung kann in vielen Kontexten und Populationen eingesetzt werden. Diese kurze und breite Auflistung soll einladen, konkrete Fragestellungen selbst zu recherchieren.
Für die weiteren Artikel dieser Serie ist anzumerken, dass nun die Methode “von Innen heraus” dargestellt wird, nachdem die grundsätzliche Wirksamkeit etabliert wurde. Es soll ein Hereinschnuppern in Motivational Interviewing ermöglichen und die Anwenderinnen motivieren sich auf die Methode, auf eine personenzentrierte Haltung und ihre Techniken einzulassen. Außerdem können die Texte vielleicht als kleines Nachschlagewerk dienen, die die Anwendung erleichtern.
Interessenkonflikt
Der Autor, Simon Klug, unterrichtet MI an Fach- und Hochschulen und ist als Seminarleiter für MI tätig.