Text: Leon Cassian Hammer | Sparring: Pat Preilowski | Korrektorat: Pat Preilowski | Stimme: Friederike Niermann |

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Im Sprint

- Nozizeptive Signale werden vom primären Nozizeptor über das dorsale Spinalganglion zum spinalen Nozizeptor und von dort über das Rückenmark zum Hirnstamm geleitet

- Auf Ebene des Rückenmarks können auf- und absteigende Neurone, Interneurone sowie Astrozyten stimulierenden oder hemmenden Einfluss auf die Reizweiterleitung nehmen

- Zeitliche und räumliche Summation gleichartiger Reize in einem neuronalen Netzwerk können die Funktion des Netzwerkes stärken

A. Von der Peripherie ins Zentrum

Nachdem die Bildung von nozizeptiven Signalen in der Peripherie beginnt, müssen die Signale auch ihren Weg ins zentrale Nervensystem zur weiteren Verarbeitung finden. Die primären nozizeptiven Neuronen haben nach der Reizaufnahme die Funktion der Reizweiterleitung in Richtung des zentralen Nervensystems.

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Schmerzen 7: Schmerzphysiologie V - Spinale Reizweiterleitung
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Ein Kernprozess ist hierbei der Übertritt in das Rückenmark zu den nozizeptiven Spinal-Neuronen (auch „spinalen Nozizeptoren“ genannt), welche sich im dorsalen Hinterhorn des Rückenmarks befinden. In diesem findet nicht nur eine Weiterleitung statt, sondern auch eine initiale Modulation der Nozizeptoren und ihrer Signale durch das zentrale Nervensystem.

B. Symmetrien des zentralen Nervensystems

Das zentrale Nervensystem setzt sich  aus dem Rückenmark und dem Gehirn zusammen. Eine klare Trennung zwischen "Weiterleitung im Rückenmark" und "Verarbeitung im Gehirn" ist allerdings nicht möglich, denn die Modulation und Einflussnahme beginnt, wie gleich ersichtlich, bereits im Rückenmark.

Allgemein weisen Rückenmark und Gehirn deutliche Ähnlichkeiten auf: in beiden liegen Verbindungen durch Interneurone vor, es werden exzitatorische sowie inhibitorische Einflüsse ausgeübt und Gliazellen übernehmen in Beiden weitreichende Funktionen.

Nachdem ein nozizeptives Signal am primären Nozizeptor gebildet wurde, wird dieses über das dorsale Spinalganglion zum spinalen Nozizeptor weitergeleitet. Nachfolgend kann ein derartiges Signal, ausgehend vom spinalen Nozizeptor, über das Rückenmark bis zum Hirnstamm geleitet und anschließend im Gehirn final verarbeitet werden.  Während dieses Weges können allerdings diverse Akteure Einfluss nehmen und die nozizeptive Reizweiterleitung erleichtern oder hemmen.

C. Modulation im Neuroimmun-Komplex "Rückenmark"

Wie das Gehirn ist auch das Rückenmark gefüllt mit neuroimmunen Netzwerken, bestehend aus Neuronen und Gliazellen, welche in Konkurrenz stehen und daher um Einfluss kämpfen oder co-existieren und sich gegenseitig unterstützen können.

Gliazellen sind hierbei deutlich häufiger vertreten und erfüllen nicht nur Stützfunktionen, sondern überwachen das Gewebe, unterstützen die Versorgung und können sowohl hemmend als auch fazilitierend auf die reizleitenden Neurone wirken. Nach dem Prinzip "what fires together wires together" prägen sich so spinale Zellnetzwerke immer weiter aus, je nachdem welcher Einfluss am meisten Präsenz und Dominanz zeigt.

Die Reizweiterleitung kann auf Ebene des Rückenmarks durch mehrere Prozesse beeinflusst werden:

C.1 Aufsteigende Neurone

Aufsteigende Neurone sind die primären Nozizeptoren und Neurone mit nicht-nozizeptivem Input aus der Peripherie.

Das ein Signal aus der Peripherie eine Weiterleitung und somit eine spinale Beeinflussung erwirken kann, sollte aus dem Beitrag „Schmerzphysiologie I: Wie beginnt Nozizeption?“ deutlich geworden sein.

Doch auch nicht-nozizeptiver Input kann die Reizweiterleitung beeinflussen: Beispielsweise können nicht-nozizeptive Signale wie mechanosensitive-Afferenzen aus den Aβ-Fasern über Interneurone inhibitorisch auf die Reizweiterleitung an der Synapse der Nozizeptoren wirken.

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Dieser Zusammenhang kann in Teilen erklären, warum sich sanfte Berührungen in schmerzhaften Regionen gut anfühlen können - der mechanosensitive Input hemmt die nozizeptiven Signalweiterleitung.

Gleichzeitig erklärt sich, warum die Interneurone von Aδ-Fasern, welche nozizeptive und thermische Impulse leiten, eher stimulierend auf spinale Zellnetzwerke wirken und die Reizweiterleitung somit fazilitieren.

C.2 Absteigende Neurone

Absteigende Neurone können ihren Ursprung in vielen Bereichen des Gehirns haben: Hirnstamm, Motorkortex, Assoziationskortex, Inselkortex oder Amygdala - es wird deutlich, dass sowohl motorische als auch emotionale und weitere kognitive Bereiche absteigende Neurone aussenden können, um so Einfluss auf andere Synapsen und Neurone auszuwirken.

Diese können an der Synapse zwischen primärem und spinalem Nozizeptor anknüpfen und dort sowohl hemmenden als auch stimulierenden Einfluss ausüben.

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Dies erklärt teilweise, warum Angst und Stress Schmerzen verstärken können, und Bewegung, sowie positive Emotionen Schmerzen lindern können.

C.3 Interneurone

Auch intraspinal gibt es Interneurone, welche die Netzwerke untereinander wiederum verbinden und beeinflussen. Das Rückenmark ist keine stapelbare Ansammlung von Strukturen, wie es die Wirbelkörper sind, sondern ein kontinuierlicher Neuroimmun-Komplex, der sich multidirektional ausweitet und beeinflusst.

Dabei können auch in der Vertikalen mehrere Zentimeter überbrückt werden, was die Aussagekraft von Dermatomen infrage stellt (besonders bei einem nozizeptiv hochaktiven Nervensystem).

C.4 Astrozyten

Neuronen und Giazellen bilden gemeinsam das Gewebe des zentralen Nervensystems. Zu diesen Gliazellen gehören auch die sogenannten Astrozyten (Neuroglia), diese sind die Bindungsstelle für TLRs ("Toll-like-receptors") in den Synpasen des zentralen Nervensystems und können so Einfluss nehmen:

Die TLRs überwachen jederzeit ob "Damage / Pathogen / Xenobiotic / Behaviour oder Cognitive Molecular Patterns" (DAMPs, PAMPs, etc.) vorliegen, indem Sie die Moleküle in ihrem Umfeld überprüfen. So ist es möglich, dass kognitive und physische Gefahrensituationen von den TLRs erkannt werden.

Im Falle einer solchen Erkennung können Moleküle freigesetzt werden, welche im post-synaptischen Spalt wirksam werden und so die Sensitivität der post-synaptischen Neuronen beeinflussen.

D. Reizsummation

Modulation der Impulsweiterleitung von Nervenzellen kann über viele Ebenen gesteuert werden. Bereits im Rückenmark gibt es diverse Möglichkeiten stimulierend oder hemmend die Nozizeption zu beeinflussen.

Allgemein lässt sich festhalten, dass je mehr gleichartige Reize in einem neuronalen Netzwerk ankommen, desto eher wird dieses Netzwerk in seiner Funktion gestärkt. Dieses Konzept der Summation kann sowohl räumlich als auch zeitlich erfolgen und ist für höhere Reizintensitiäten und eine höhere Präsenz von neuralen Verbindungen verantwortlich.

Wie die Signale, welche aus der Peripherie in das Rückenmark geleitet und dort initial verarbeitet wurden, nun letztlich im Gehirn verarbeitet werden, wird im nächsten Beiträg erläutert.

Aufs Feld

Therapeutinnen und Trainerinnen sollten sich bewusst sein, dass die Weiterleitung nozizeptiver Signale stimuliert aber auch gehemmt werden kann. So können einerseits Signale, die eine Bedrohung für den Körper darstellen, eine verstärkte Schmerzwahrnehmung nach sich ziehen (z.B. die Kognition “diese Übung ist nicht gut für mich”). Andererseits können beispielsweise manuelle Techniken, aber auch positive Emotionen mit einer Schmerzlinderung einhergehen. Aufgrund der Reizsummation ist allerdings die Verwendung schmerzhafter (manueller) Techniken in einem bereits schmerzhaften Gebiet zu hinterfragen.

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