Text: Judith Begiebing | Sparring: Pat Preilowski | Korrektorat: Leon Cassian Hammer | Stimme: Friederike Niermann |
- Der Prozess der Wahrnehmung dient der Aufnahme von Informationen über Sinnesorgane, ihrer Organisation und Interpretation. Wahrnehmung ist begrenzt und konstruiert
- Im Sport ist insbesondere die visuelle Wahrnehmung von Relevanz, wobei hinsichtlich ihrer Trainierbarkeit vor allem für das Quiet-Eye-Training Evidenz vorliegt
- Die Unaufmerksamkeitsblindheit ist ein Fehler in der bewussten Wahrnehmung und ist besonders in Mannschaftssportarten bedeutsam
A. Kognitionspsychologie als Subdisziplin der Sportpsychologie
Egal ob es der Torwart vor dem entscheidenden Elfmeter, die Basketballerin beim Dribbling auf das gegnerische Tor, oder die Biathletin am Schießstand ist - das Handeln von Sportlerinnen in solch komplexen und dynamischen Situationen wäre ohne kognitive Prozesse nicht möglich.
Der Begriff Kognition fasst sämtliche Prozesse und Strukturen zusammen, welche sich auf die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen beziehen. Dazu zählen unter anderem Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Urteilen, Entscheiden, Denken und Problemlösen sowie Gedächtnis (Hänsel et al., 2016).
Kognition kann somit als vermittelnder Prozess zwischen einem Reiz und dem Verhalten angesehen werden. Dabei dienen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit der Aufnahme der Information, Denken und Entscheiden deren Verarbeitung und das Gedächtnis der Speicherung dieser Information. All diese Prozesse bilden die Grundlage für Bewegungskontrolle und kurzfristige (taktische) Entscheidungen im Sport und sind Voraussetzung für die optimale Nutzung der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten der Sportlerin.
Die folgenden drei Beiträge beschäftigten sich mit der Informationsaufnahme und damit der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit sowie der Antizipation als Schnittstelle zwischen diesen beiden kognitiven Prozessen. Zuvor sei allerdings noch angemerkt, dass die hier vorgenommene strikte Einteilung in Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung und ihre zugehörigen kognitiven Prozesse zwar das Verständnis erleichtern, der Komplexität der Kognition durch die wechselseitige Beeinflussung der kognitiven Prozesse aber nicht gerecht wird. So ist beispielsweise der Prozess der Wahrnehmung nicht von bereits im Gedächtnis abgespeicherten Informationen loszulösen. Die Prozesse unterliegen also keiner strikt hierarchischen Abfolge, sondern organisieren sich in einem vielschichtigem System.
B. Begriffsbestimmung Wahrnehmung
Wahrnehmung kann als Prozess der Organisierung und Interpretation der von den Sinnesorganen bereitgestellten Informationen verstanden werden (Hagendorf et al., 2011). Dabei kann zwischen bewusster und unbewusster Wahrnehmung unterschieden werden. Durch die Wahrnehmung werden Informationen über verschiedene Ebenen aufgenommen, weshalb sie als multimodal bezeichnet wird. Zu diesen Wahrnehmungsebenen gehören das Sehen (visuelle Wahrnehmung), Hören (akustische oder auditive Wahrnehmung), Tasten (taktile Wahrnehmung), Riechen (olfaktorische Wahrnehmung) und Schmecken (gustatorische Wahrnehmung). Da die aufgenommene Information aus der Außenwelt stammt, wird im Zusammenhang mit diesen Wahrnehmungsebenen von Fremdwahrnehmung gesprochen. Aus sportpsychologischer Sicht sind zudem die Wahrnehmung von Körperbewegung und -lage im Raum beziehungsweise der Lage einzelner Körperteil zueinander (propriozeptive Wahrnehmung) sowie der Gleichgewichtssinn (verstibuläre Wahrnehmung) von Interesse. Sie werden der Selbstwahrnehmung zugeteilt, da die aufgenommene Information im Gegensatz zur Fremdwahrnehmung aus dem eigenen Körper stammt.

B.1 Der Wahrnehmungsprozess
Der Prozess der Wahrnehmung lässt sich in drei Stufen unterteilen. Dabei kommen zwei Verarbeitungswege zum Tragen, die miteinander interagieren: die Bottom-up-Verarbeitung durch die Steuerung eingehender Information sowie deren Top-down-Verarbeitung durch psychische Prozesse. Das Modell macht zwar die Verknüpfung zwischen Situation, Dispositionen und aktuellen kognitiven Prozessen (z.B. Motivation) deutlich, beispielsweise bleibt aber die Wechselwirkung zwischen Wahrnehmung und Handeln außen vor. Der hier dargestellte Wahrnehmungsprozess ist somit als vereinfachtes Modell anzusehen.
B.1.1 Empfindung
Voraussetzung für Wahrnehmung ist, dass ein sogenannter adäquater Reiz auf eine Sinneszelle trifft. Bestimmte Sinneszellen reagieren also nur auf bestimmte Reize mit speziellen physikalischen oder chemischen Eigenschaften. Beispielsweise reagiert das Auge nur auf einen kleinen Teil des elektromagnetischen Spektrums. Anschließend wird die physikalische Energie dieses Reizes (z.B. Lichtwellen) von den Sinnesrezeptoren durch den Vorgang der Transduktion in bioelektrische Reize und damit in neuronal kodierte Informationen umgewandelt, welche eine Weiterleitung an das Gehirn weitergeleitet ermöglicht. Am Beispiel des Sehens kommt es so zunächst zu einer Wahrnehmung von sensorischen Fragmenten wie Linien und Winkeln.
B.1.2 Perzeptuelle Organisation
Im nächsten Schritt wird die eintreffende Information mit bereits vorhandenem Wissen kombiniert. So entsteht aus den sensorischen Merkmalen wie Linien und Winkeln eine innere Repräsentation, das Perzept. Dabei werden Größe, Entfernung, Bewegung und Ausrichtung des Objekts eingeschätzt (z.B. rechteckiges Objekt schräg vorne).
B.1.3 Identifikation und Wiedererkennung
Das Objekt wird im letzten Schritt identifiziert, wodurch das Perzept nun eine Bedeutung erhält (z.B. Fußballtor). Hierfür sind höhere kognitive Prozesse, wie Wissen, Gedächtnis Sprache, Erwartungen, Annahmen und Motivation vonnöten.

C. Visuelle Wahrnehmung
Die Aufnahme und Verarbeitung visueller Reize spielt in den meisten Sportarten eine essenzielle Rolle und ist aus diesem Grund die in der Sportpsychologie am besten untersuchte Form der Wahrnehmung.
Gegenstand psychologischer Forschung im Zusammenhang mit visueller Wahrnehmung ist die Objektwahrnehmung, die Farbwahrnehmung, die Tiefen- und Größenwahrnehmung sowie die Wahrnehmung von Bewegung.
Die Forschung zur Objektwahrnehmung beschäftigt sich unter anderem mit der Rolle der Perspektive für die visuelle Wahrnehmung. In diesem Zusammenhang liefern Oudejans et al. (2000) eine mögliche Erklärung für die häufigen Fehlentscheidungen von Linienrichtern hinsichtlich des Abseits im Fußball. Demnach scheint die Perspektive des Linienrichters zu einer optischen Verzerrung der Spielerpositionen zu führen. Flag Errors (Flagge wird gehoben, obwohl kein Abseits vorliegt) traten häufiger auf, wenn sich der Angreifer vom Linienrichter aus gesehen hinter dem Verteidiger (aus der Vogelperspektive links vom Verteidiger) befanden, der Angriff auf der gegenüberliegenden Spielfeldseite also von Außen, in der Spielfeldmitte links vom Verteidiger und auf der dem Linienrichter nahen Spielfeldseite von Innen stattfand. Umgekehrt kam es zu vermehrten No-Flag-Errors (Flagge wird nicht gehoben, obwohl ein Abseits vorliegt), wenn sich der Angreifer vom Linienrichter aus gesehen vor dem dem Verteidiger, aus der Vogelperspektive also rechts von ihm befand. Fehlurteile könnten somit (zumindest häufig) das Ergebnis einer perspektivisch verzerrten Projektion der Spieler auf die Netzhaut des Linienrichters und damit den Einschränkungen der menschlichen visuellen Wahrnehmung geschuldet sein. In ähnlichen Situationen wären auch ungünstige Bewegungsentscheidungen von Sportlerinnen aufgrund perspektivischer Verzerrungen denkbar.
C.1 Zentrale und periphere Wahrnehmung und ihre Bedeutungen im Sport
Das Auge ist für die visuelle Wahrnehmung zuständig. Reflektierte Lichtwellen werden aufgenommen, gebündelt und von den Rezeptoren des Auges in elektrische Signale umgewandelt, die an das Gehirn weitergeleitet und von diesem verarbeitet werden. Das visuelle Feld wird in die zentrale (foveale) und periphere Wahrnehmung unterteilt. Der Bereich des schärfsten Sehens wird als Fovea centralis bezeichnet und macht nur etwa 2° des Gesichtsfeldes aus. Die gesamte restliche Netzhaut umfasst das periphere Sehen. Obwohl die Sehschärfe vom Netzhautzentrum nach außen hin abnimmt und in der Peripherie deswegen keine Details erkannt werden können, trägt auch dieser Wahrnehmungsbereich wesentlich zur Wahrnehmung der Umwelt bei. So werden über das periphere Gesichtsfeld insbesondere Bewegungen und Veränderungen der Umwelt aufgenommen, woraufhin selektiert und entschieden wird, welchem visuellen Reiz die größte Aufmerksamkeit zugewandt werden soll. Die Blickbewegung wird dementsprechend auf diesen gelenkt und die Blickfixierung gegebenenfalls angepasst. Somit dient das zentrale Sehen der Objektidentifikation und -diskriminierung, das periphere Sehen hingegen der Objektlokalisation durch die Vermittlung von Raum-, Orientierungs- und Bewegungseindrücken.
Insbesondere in Spielsportarten ist das periphere Sehen essenziell, um mehrere Reize und damit die gesamte Spielsituation wahrnehmen zu können. Sowohl Spieler des eigenen Teams als auch der gegnerischen Mannschaft müssen gleichzeitig gesehen werden, was durch Blickfixierungen allein nicht möglich wäre. Werden Informationen aber über das periphere Sehen aufgenommen, erlauben weniger Augenbewegungen und längere Blickfixierungen eine effizientere Informationsverarbeitung (Williams, Davids & Williams, 1999). Unter Stress scheint die periphere Wahrnehmung jedoch eingeschränkt zu sein (Williams & Andersen, 1997).
C.2 Trainieren der visuellen Wahrnehmung im Sport
„Sports Vision“, (Revien & Gabor, 1981), „Eyerobics“ **(Revien, 1987) oder „SportsVision“ **(Wilson & Falkel, 2004) stellen einige speziell entwickelte Trainingsprogramme zur Verbesserung der visuellen Wahrnehmung dar. Sie beinhalten sportunspezifische Übungen zur Verbesserung der physiologisch determinierten Sehfunktionen, wie schnelle Blicksprünge, Augenkreisen oder Scharfstellen auf Objekte in unterschiedlichen Entfernungen. Während in einigen Studien sportspezifische Leistungsverbesserungen, wie Auge-Fuß-Koordination bei Fußballerinnen (McLeod, 1991), Schlagleistung, Fang- und Wurfgenauigkeit bei Cricketspielern (Balasaheb, Maman & Jaspal, 2008; Calder & Kluka, 2009) oder Auge-Hand-Koordination bei Tischtennisspielern (Jendrusch et al., 2001) in Anschluss an ein entsprechendes unspezifisches visuelles Wahrnehmungstraining nachgewiesen werden konnten, wurde die Effektivität in anderen Untersuchungen hingegen nicht bestätigt (Abernethy & Wood, 2001; Wood & Abernethy, 1997). Letztere stehen in Einklang mit dem allgemeineren Konsens, dass Sportlerinnen keine generell besseren visuellen Fähigkeiten zu haben scheinen (Eccles, 2006).
Sportspezifisches visuelles Wahrnehmungstraining setzt im Gegensatz zu einem unspezifischen Sehtraining voraus, dass das effektivste Blickverhalten bekannt ist und die entsprechenden Blickstrategien auf Grundlage dessen erlernt werden können. Jedoch hängt das Blickverhalten von verschiedenen Komponenten ab und unterscheidet sich je nach Anforderungen an die Sportart und Situation. Aufgrund dessen ist das Ableiten von praktischen Trainingsempfehlungen nahezu unmöglich.
Eine Ausnahme stellt das relativ genau erforschte Quiet Eye dar. Es bezeichnet die letzte Blickfixation vor Beginn der finalen Bewegung. Längere Quiet Eye-Perioden stehen mit einer besseren sportlichen Leistung in Zusammenhang (Lebeau et al., 2016). Das Quiet Eye ist trainierbar, wobei in diesem Zusammenhang in der Regel mittels zweier an einem brillenähnlichen Rahmen befestigten Kameras zum einen die Augenbewegung und zum anderen die Szene gefilmt und diese mithilfe eines Software Programms mit der motorischen Leistung synchronisiert werden (Appelbaum & Erickson, 2016). Das Training kann anschließend mittels Feedback, dem Vergleich des Blickverhaltens mit Expertinnen sowie durch das Einhalten einer preshot routine, also einer bestimmten Handlungsabfolge vor dem Wurf oder Schuss erfolgen (Zentgraf & Mindert, 2014). Verschiedene Studien konnten die Wirksamkeit eines Quiet Eye-Trainings auf die sportspezifische Leistung beispielsweise im Fußball (Wood & Wilson, 2012), Basketball (Vine & Wilson, 2011) und Golf (Vine & Wilson, 2010) nachweisen. Darüber hinaus scheint sich ein Quiet Eye-Training positiv auf das Choking under Pressure auszuwirken (Vine & Wilson, 2010; 2011).
Zum visuellen Wahrnehmungstraining gehört außerdem Antizipationstraining, welches im nächsten Beitrag vorgestellt wird.
D. Fehler in der bewussten Wahrnehmung
Aufgrund der begrenzten menschlichen Verarbeitungskapazität müssen Wahrnehmungsinhalte selektiert werden. Dies kann zum einen durch bewusste Aufmerksamkeitsprozesse und zum anderen durch automatische Priorisierung geschehen. Innerhalb dieses Selektionsprozesses kann es allerdings zu Fehlern kommen, sodass vermeintlich auffällige und/ oder verhaltensrelevante Reize nicht wahrgenommen werden. Die wichtigsten Fehler der bewussten Wahrnehmung sind die Veränderungsblindheit, der Attentional Blink sowie die Unaufmerksamkeitsblindheit.
Die Veränderungsblindheit (Change Blindness) ist Folge der räumlichen Abwesenheit von Aufmerksamkeit, während der Attentional Blink durch die zeitliche Abwesenheit von Aufmerksamkeit entsteht. Erstere tritt beispielsweise auf, wenn Probanden in schneller Abfolge und einem zwischengeschalteten grauen Bild zwei Versionen eines Bildes mit nur einem Unterschied präsentiert werden - fällt der Aufmerksamkeitsfokus nicht zufällig auf die entsprechende Bildstelle, wird der Unterschied nicht bemerkt (Rensink, O´Regan & Clark, 1997). Beim Attentional Blink wird ein Zielreiz nicht wahrgenommen, wenn 100 bis 500ms zuvor bereits ein Zielreiz wahrgenommen wurde - ein „Loch“ in der Aufmerksamkeit (Shapiro, Raymond & Arnell, 1997).
Für den Alltag relevanter ist aber die Unaufmerksamkeitsblindheit (Inattentional Blindness). Sie bezeichnet das Übersehen eines unerwartet auftretenden Reizes im Blickfeld, bei einem auf andere Reize gerichteten Aufmerksamkeitsfokus (Simons & Chabris, 1999). Die Unaufmerksamkeitsblindheit spielt auch im Sportkontext eine wichtige Rolle. Memmert und Furley (2007) führten in diesem Zusammenhang eine Reihe von Experimenten im Bereich des Handballsports durch. Den Probanden (jugendliche Handballspieler) wurden Videoaufnahmen von Situationen im Handball gezeigt, wobei sie die Aufgabe erhielten einen bestimmten Spieler als Angreifer oder Verteidiger zu identifizieren und darauf basierend eine taktische Entscheidung zu treffen, die am ehesten ein Tor nach sich ziehen würde. Nach zwei unkritischen Videoaufnahmen, also ohne unerwarteten Reiz, erschien im dritten Video ein unerwartet ungedeckter Spieler auf dem Spielfeld. Nur etwa die Hälfte der Probanden (55%) nahmen den freien Spieler war. Die Ergebnisse konnten im Basketball repliziert werden (Furley, Memmert & Heller, 2010).
D.1 Welche Einflussfaktoren auf die Unaufmerksamkeitsblindheit gibt es?
- Auffällige Objekte oder Reize, wie eine mit beiden Armen winkende Spielerin scheinen mit höherer Wahrscheinlichkeit wahrgenommen zu werden (Memmert & Furley, 2007).
- Expertinnen einer Sportart entdecken ein unerwartetes Objekt in einer Situation der entsprechenden Sportart eher als Novizinnen (Furley, Memmert & Heller, 2010; Memmert, 2006), was sich allerdings nicht auf nicht-sportartspezifische Situationen übertragen zu lassen scheint (Memmert, Simons & Grimme, 2009).
- Studienergebnisse, die nahelegen, dass taktische Instruktionen die Wahrscheinlichkeit eine freie Mitspielerin zu entdecken verringern (Memmert & Furley, 2007), dürften insbesondere für Trainerinnen von großem Interesse sein. Dies könnte auf den durch die Anweisungen eingeengten Aufmerksamkeitsfokus der Spielerin zurückzuführen sein.
- Eine sowohl sehr niedrige als auch sehr hohe körperliche Anstrengung scheint die Unaufmerksamkeitsblindheit zu verstärken (Hüttermann & Memmert, 2012).
- Auch im Jugendsport ist das Thema von Relevanz: Kinder bis zum Alter von 10 Jahren scheinen besonders anfällig für Unaufmerksamkeitsblindheit zu sein (Memmert, 2006; Memmert, 2014).
E. Unbewusste Wahrnehmung
Zwar wird nur ein äußerst begrenzter Teil der Umwelt bewusst wahrgenommen, Unaufmerksamkeitsblindheit und damit das Nicht-Wahrnehmen klar sichtbarer Reize schließt eine Verarbeitung entsprechender Reize jedoch nicht aus (Schnuerch et al., 2016). Tatsächlich können auch unbewusst bleibende Reize das Verhalten beeinflussen. Beispielsweise kann in Anschluss an einen ähnlichen oder gleichen unterschwelligen Reiz die Reaktionsgeschwindigkeit reduziert (Kodier & Dehaene, 2009) und das Erkennen und Benennen verbessert werden (Bar & Biedermann, 1998). Darüber hinaus ist auch eine Beeinflussung von (sportlichen) Entscheidungen möglich (Weigelt und Memmert, 2012).
Im Sport zeigt sich der Einfluss unbewusster Wahrnehmung auf das Treffen von Entscheidungen beispielsweise am sogenannten Off-Center-Effekt im Fußball. Dieser bezeichnet den Einfluss eines von der Mitte des Tors nur leicht nach rechts oder links positionierten Torwarts auf die Entscheidung eines Elfmeterschützen auf welche Seite er den Ball schießen wird. Obwohl der Versatz so gering ist, das er nur unbewusst wahrgenommen wird, zielen über 60% der Schützen auf die Seite mit mehr Platz (Noël, Kamp & Memmert, 2015). Der Off-Center-Effekt scheint nur dann nicht zum Tragen zu kommen, wenn die Schützin eine Torhüter-abhängige Strategie verfolgt (Antizipieren der Torhüter-Bewegung anstatt Entscheidung der Schussrichtung vor Beginn des Anlaufs) und die Torhüterin gleichzeitig eine frühe Sprungbewegung zu einer Seite (vor Ballkontakt der Schützin) initiiert. Nur in diesem Fall scheint die unbewusst wahrgenommene Information der Torwart-Position durch die bewusste Wahrnehmung der Torwart-Bewegung überschrieben zu werden.
G. Ich sehe was, was du nicht siehst
Durch den Prozess der Wahrnehmung werden Informationen aus der Umwelt aufgenommen, organisiert und interpretiert, wobei die Wahrnehmung aber niemals ein objektives Abbild der Wirklichkeit darstellt. Insbesondere im Sportkontext ist die visuelle Wahrnehmung von großer Relevanz. In Spielsportarten ist neben dem fovealen Sehen das periphere Sehen Voraussetzung für die Wahrnehmung der gesamten Spielsituation. Fehler der bewussten (visuellen) Wahrnehmung - insbesondere die Aufmerksamkeitsblindheit - sind aber auch im Sport keine Seltenheit. Ebenso können Informationen, die zwar nicht bewusst wahrgenommen, aber dennoch verarbeitet werden, das Verhalten wie Entscheidungsbildung beeinflussen. Studien zum Training der visuellen Wahrnehmung im Sport setzen sich vorwiegend mit dem Quiet Eye Phänomen auseinander und konnten sportspezifische Leistungsverbesserungen nach einem Quiet Eye-Training aufzeigen.
Da die Aufmerksamkeitsblindheit nicht explizit von der Sportlerin trainiert werden kann, kommt diesbezüglich der Trainerin eine größere Rolle zu: Instruktionen während des Spiels sollten vermieden werden, da sie die Wahrscheinlichkeit für das Übersehen einer freien Mitspielerin zu erhöhen scheinen. Mitspielerinnen können zudem durch Gesten oder Rufe auf sich aufmerksam machen. Vielversprechend scheint außerdem ein Quiet-Eye-Training zur Verlängerung der, unter anderem für Elfmeter, Freiwürfe oder Golfschläge relevanten, letzten Blickfixation vor einer finalen Bewegung zu sein.
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