Text: Judith Begiebing | Sparring: Pat Preilowski | Korrektorat: Leon Cassian Hammer | Stimme: Friederike Niermann |

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Im Sprint

- Aufgrund der begrenzten menschlichen Wahrnehmungskapazität dient Aufmerksamkeit der Auswahl handlungsrelevanter Informationen

- Aufmerksamkeit kann in vier Subprozesse, die selektive Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeitsorientierung, die geteilte Aufmerksamkeit sowie die Konzentration unterteilt werden

- Elitesportlerinnen zeigen insbesondere bei sportspezifischen Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungs- und Antizipationsaufgaben eine bessere kognitive Leistungsfähigkeit als Novizinnen

A. Begriffsbestimmung Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit ist gemeinsam mit der Wahrnehmung am Prozess der Informationsaufnahme beteiligt. Sie ist eng mit der Wahrnehmung verbunden, darf jedoch nicht mit dieser gleichgesetzt werden. Da die menschliche Verarbeitungs- und Wahrnehmungskapazität begrenzt ist, dient die Aufmerksamkeit der Auswahl von Informationen, welche für das Erreichen von Handlungszielen wichtig sind. Aufmerksamkeit bezeichnet somit Prozesse, bei denen Informationen, die für aktuelle Handlungen relevant sind, selektiert werden, und steht dabei in Wechselwirkung mit Wahrnehmungsprozessen sowie Handlungsplanung und -ausführung (Hagendorf et al., 2011). Als eine der Funktionen der Aufmerksamkeit ist die Selektion für die eingeschränkte Wahrnehmung verantwortlich. Eine weitere Funktion betrifft die Fokussierung und damit die Ausrichtung der Aufmerksamkeit. Im Zusammenhang mit Handlungsauswahl und -ausführung werden jedoch die Begrenzungen der Aufmerksamkeit deutlich. Beispielsweise stellt “Multi-Tasking” hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, da sie zwischen mehreren Handlungen aufgeteilt werden muss.

Im Allgemeinen werden vier Subprozesse der Aufmerksamkeit unterschieden, die im Folgenden genauer erläutert werden sollen: die selektive Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeitsorientierung, die geteilte Aufmerksamkeit und die Konzentration (Memmert, 2009). Die Differenzierung basiert auf neurophysiologischen Studien, welche bei den genannten Aufmerksamkeitsprozessen Unterschiede in der Gehirnaktivität aufzeigen konnten (z.B. Coull, 1988).

B. Selektive Aufmerksamkeit (Selective Attention)

Die Freistoß-Schützin ignoriert die lauter werdenden Pfiffe und Rufe der Zuschauer, um den Ball der starken Kopfballspielerin zuzuspielen.

Die selektive Aufmerksamkeit dient der Aufmerksamkeitsausrichtung und wählt zu einem bestimmten Zeitpunkt zwischen konkurrierenden Stimuli aus. Sie steht in enger Verbindung zur Aufmerksamkeitsorientierung, allerdings sind für die beiden Prozesse unterschiedliche Gehirnareale aktiv (Posner & Petersen, 1990).

Die Forschung zur selektiven Aufmerksamkeit ist von unmittelbarerer Relevanz für die im letzten Beitrag vorgestellte Antizipationsforschung und überschneidet sich teilweise. Ein Untersuchungsschwerpunkt behandelt beispielsweise die Frage, auf welche Bereiche die Blickfixierungen von Sportlerinnen im Wettkampf fallen. So sollen die visuellen Suchstrategien ermittelt werden, die es den Sportlerinnen ermöglichen, Handlungseffekte zu antizipieren und so möglichst schnell und angemessen reagieren zu können. Expertinnen scheinen sich in ihrer visuellen Suchstrategie durch quantitativ weniger aber zeitlich längere Blickfixierungen von Novizinnen zu unterscheiden (Mann et al., 2007). Die im Rahmen der Untersuchungen identifizierten sogenannten information-rich areas (Magill, 1998) enthalten hilfreiche Hinweise für die Vorhersage von Bewegungseffekten. Beispielsweise scheinen im Badminton nicht nur Ball und Schläger, sondern auch Rumpf und Schlagarm wichtige Informationen für die Antizipation der Flugbahn des Balls zu beinhalten (Hagemann & Strauß, 2006).

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Sportpsychologie 6: Kognition im Sport: Aufmerksamkeit
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C. Aufmerksamkeitsorientierung (Orienting Attention)

Eine freie Mitspielerin hebt den Arm, woraufhin die Spielerin im Ballbesitz ihre Aufmerksamkeit auf diese richtet, um einen Pass zu spielen.

Die Aufmerksamkeitsorientierung lenkt die Aufmerksamkeit auf einen handlungsrelevanten Stimulus. Während also die selektive Aufmerksamkeit zwischen verschiedenen Reizen auswählt, dient die Aufmerksamkeitsorientierung der Lenkung der Aufmerksamkeit auf diesen ausgewählten Reiz. In diesem Sinne kommt es entweder zu einer Fokussierung auf den Reiz oder der Fokus auf den Reiz wird eingestellt (Tennenbaum & Bar-Eli, 1995). Posner (1980) zufolge wird auf diese Weise die Verarbeitung der Informationen im Aufmerksamkeitsfokus erleichtert, während die Verarbeitung der Informationen außerhalb des Fokus erschwert wird. Das Hinweisreizparadigma von Posner (1980) kann genutzt werden, um die Aufmerksamkeitsorientierung zu untersuchen und zeigt einen Verarbeitungsvorteil für Stimuli an Orten, auf die zuvor durch Hinweisreize die Aufmerksamkeit gelenkt wurde.

Im Bereich der Sportpsychologie können folgenden Ergebnisse zur Aufmerksamkeitsorientierung zusammengefasst werden (Memmert, 2009):

  • Expertinnen in Spielsportarten wie Fußball (Lum, Eins & Pratt, 2002), Volleyball (Castiello & Umiltà, 1992) oder Hockey (Eins & Richards, 1997) weisen innerhalb ihres Blickfelds eine größere Aufmerksamkeitsflexibilität auf als Novizinnen. Unwahrscheinlichen Ereignissen wird also proportional viel, wahrscheinlichen Ereignissen dagegen proportional wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
  • In Sportarten mit hohen Aufmerksamkeitsanforderungen zeigen Expertinnen bessere Leistungen in der Aufmerksamkeitsorientierung als Novizinnen (z.B. Pesce-Anzeneder & Bösel, 1998).
  • Expertinnen scheinen ihre Aufmerksamkeitsressourcen besser an die spezifischen Aufgabenanforderungen anpassen zu können als Novizinnen, indem sie die Größe des Aufmerksamkeitsfokus modulieren (z.B. Anzeneder & Bösel, 1998).
  • Moderate körperliche Aktivität oder Belastung (60% der VO2 max) scheint sowohl zu einer verminderten Reaktionszeit auf einen Stimulus zu führen als auch die Reaktionszeit nach einem ungünstigen Aufmerksamkeitsfokus aufgrund eines irreführenden Stimulus zu reduzieren (Pesce et al., 2003).
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Selektive Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeitsorientierung in der Sportpraxis: Im Antizipationstraining können selektive Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeitsorientierung gezielt beeinflusst werden, um der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität entgegen zu wirken und den Verabeitungsvorteil für Stimuli an Orten, auf die die Aufmerksamkeit zuvor gelenkt wurde, auszunutzen. So kann die Aufmerksamkeit beispielsweise durch verbale oder visuelle Hinweise auf information-rich areas gelenkt werden (Abernethy et al., 2012). Diese Aufmerksamkeitslenkungen können sowohl im videobasierten als auch im realen Training zur Anwendung kommen. Für beide Trainingsmethoden konnten Verbesserungen der Antizipationsleistung nachgewiesen werden (z.B. Williams, Ward & Chapman, 2003; Hagemann & Memmert, 2006). Die Aufmerksamkeitslenkung kann sich allerdings auch nachteilig auf die Breite und Flexibilität der Aufmerksamkeit auswirken, sodass beispielsweise freie Mitspielerinnen leichter übersehen werden (Memmert & Furley, 2007). Die eingeschränkte Aufmerksamkeitsbreite kann außerdem zu einer eingeschränkten Kreativität bei der Lösung taktischer Aufgaben führen (Memmert, 2007).

D. Geteilte Aufmerksamkeit (Divided Attention)

Die Spielerin dribbelt den Ball an der Gegnerin vorbei, während sie das Spielfeld nach einer freien Mitspielerin absucht.

Geteilte Aufmerksamkeit bezeichnet das simultane Aufteilen der Aufmerksamkeit auf verschiedene Stimuli („Multi-Tasking“). Die Fähigkeit zur Fokussierung auf zwei oder mehrere Informationsquellen gleichzeitig ist für zahlreiche sportpraktische Anforderungen notwendig. Voraussetzung für die Aufmerksamkeitsteilung ist eine ausreichend große Aufmerksamkeitsbreite, welche bezogen auf eine Modalität (z.B. visuelle Reize) auch als Aufmerksamkeitsfenster bezeichnet wird und den Bereich angibt, innerhalb dessen zwei Reize gleichzeitig wahrgenommen werden können.

D.1 Bestimmung der Aufmerksamkeitsbreite

Zur Erfassung der Aufmerksamkeitsbreite stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung. Dabei kann die Aufgabe entweder darin bestehen, einen auf dem Bildschirm zentral präsentierten Reiz zu fixieren und einen peripheren Reiz zu lokalisieren und identifizieren (Useful Field of View Test, UFoV; Ball & Owsley, 1993) oder bei Fixierung der Mitte des Bildschirms zwei peripher dargebotene Reize zu identifizieren (Attention Window Test, AWT; Hüttermann et al., 2013). Mithilfe des Attention Window Test kann das individuelle visuelle Aufmerksamkeitsfenster, also der Bereich des Sichtfelds, in dem mehrere periphere Reize gleichzeitig bewusst wahrgenommen werden können, ermittelt werden. Die Aufmerksamkeitsbreite wird dabei entlang einer horizontalen, einer vertikalen und zwei diagonalen Achsen bestimmt. In einem weiteren Paradigma soll die Bewegung mehrerer Objekte verfolgt werden, die verwendete Fixierungsstrategie bleibt der Probandin überlassen (Multiple Object Tracking Test, MOT; Pylyshyn & Storm, 1988).

Hüttermann, Memmert und Simons (2014) konnten eine 25% größere Aufmerksamkeitsbreite von erfahrenen Sportlerinnen im Vergleich zu Novizinnen feststellen. Dabei scheint die Verteilung der Aufmerksamkeitsbreite von den Anforderungen der jeweiligen Sportart abzuhängen: Sportlerinnen, deren Sportart vermehrt horizontale Aufmerksamkeitsanforderungen stellt (z.B. Fußball), zeigten eine größere horizontale Aufmerksamkeitsbreite als Sportlerinnen aus Sportarten mit vermehrt vertikalen Aufmerksamkeitsanforderungen (z.B. Volleyball) und umgekehrt. Darüber hinaus scheint eine Fixierungsstrategie, bei der ein Punkt zwischen zwei Stimuli fixiert wird, diese also beide peripher wahrgenommen werden, eine größere Aufmerksamkeitsbreite zuzulassen, als die Fixierung eines Stimulus bei gleichzeitiger peripherer Wahrnehmung eines weiteren Stimulus (Hüttermann et al., 2013). Expertinnen zeigen aber bei beiden Fixierungsstrategien ein größeres Aufmerksamkeitsfenster als Novizinnen.

D.2 Doppelaufgaben-Paradigmen

Anhand von Doppelaufgaben-Paradigmen kann zum einen erfasst werden, wie sich eine Zweitaufgabe auf die Leistung der Erstaufgabe auswirkt (D.2.1) und zum anderen der Einfluss von unterschiedlichen Aufmerksamkeitsfokussierungen auf die Leistung bei Doppelaufgaben untersucht werden (D.2.2).

D.2.1 Blindheit durch Unaufmerksamkeit

Das Übersehen eines unerwartet auftretenden Reizes im Blickfeld, bei einem auf andere Reize gerichteten Aufmerksamkeitsfokus wird als Inattentional Blindness bezeichnet und wurde im letzten Beitrag bereits ausführlich behandelt. Die Unaufmerksamkeitsblindheit bei einem von der Zweitaufgabe abweichenden Aufmerksamkeitsfokus konnte auch in sportspezifischen Studien an Handballern (Memmert & Furley, 2007) und Basketballern (Furley, Memmert & Heller, 2010) nachgewiesen werden. Unaufmerksamkeitsblindheit kann als wesentliches Merkmal der begrenzten menschlichen Informationsverarbeitungskapazität angesehen werden.

D.2.2 Internaler versus externaler Aufmerksamkeitsfokus

In diesem Forschungsbereich werden die Auswirkungen von Aufmerksamkeitsfokussierungen auf das Erlernen von motorischen Fertigkeiten beziehungsweise auf die motorische Kontrolle von Bewegungsmustern untersucht. Während beim internalen, bewegungsbezogenen Fokus der Aufmerksamkeitsfokus auf die Bewegung selbst gerichtet wird (z.B. Strecken des Ellenbogens beim Volleyball-Aufschlag), wird die Aufmerksamkeit beim externen, zielorientierten Fokus auf den Bewegungseffekt oder das Bewegungsziel gerichtet (z.B. rechte hintere Ecke des gegnerischen Felds als Ziel des Volleyball-Aufschlag). Ein externaler Aufmerksamkeitsfokus scheint einem internalen in Bezug auf motorisches Lernen (Wulf & Prinz, 2001) und motorische Kontrolle (Gray, 2011) überlegen zu sein. Sowohl Novizinnen als auch Expertinnen scheinen sportartübergreifend von einem externen Fokus zu profitieren (Wulf, 2007). Ein internaler Aufmerksamkeitsfokus könnte durch die Beeinträchtigung eigentlich bereits automatisierter Prozesse hingegen Ursache für das "Choking under Pressure“ sein (Gray, 2011).

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Geteilte Aufmerksamkeit in der Sportpraxis: Zur Verbesserung der geteilten Aufmerksamkeit bieten sich im Training Doppelaufgaben an. So können Spielformen entwickelt werden, für die ein breiter Aufmerksamkeitsfokus benötigt wird. Beispielsweise können zwei Mannschaften auf jeweils drei Tore spielen, wobei ein Tor erst dann gültig ist, wenn sich alle Teammitglieder auf der gegnerischen Spielfeldseite befinden (Memmert & König, 2011). Weiterhin können im Spiel unerwartete Lösungsmöglichkeiten beispielsweise durch eine neutrale Spielerin, oder die plötzliche Veränderung von Regeln angeboten werden. Auch die Anzahl von Spielelementen, wie Mitspielerinnnen, Gegenspielerinnen oder Bällen kann variiert werden.
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Wer mehr über die Arbeit von Gabriele Wulf im Bereich des motorischen Lernens und der Aufmerksamkeitsforschung lesen möchte, der findet eine Vorstellung ihrer bekanntesten Theorie hier: “Die OPTIMAL Theorie”

E. Konzentration (Sustained Attention)

Die Spielerin fixiert den Ball während eines langen Passes, um ihn sicher annehmen zu können.

Die Konzentration ermöglicht es den Aufmerksamkeitsfokus auf einen speziellen Stimulus oder Ort für längere Zeit aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zur Vigilanz, die Aufmerksamkeitsprozesse von Minuten bis Stunden bezeichnet, bezieht sich die Konzentration auf einen Zeitraum von Sekunden bis Minuten. Konzentration ist als ein zeitlicher Prozess zu verstehen, während die selektive Aufmerksamkeit einen eher räumlichen Prozess darstellt (Fernandez-Duque & Posner, 1997). Trotz der wichtigen Rolle der Konzentration im Sport ist die empirische Beweislage bislang dünn.

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Konzentration in der Sportpraxis: Im Training können sportspezifische Aufgabenstellungen gegeben werden, für deren Ausführung die Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrechterhalten werden muss. Beispielsweise können beim Aufschlagtraining im Tennis Zonen im Aufschlagfeld markiert werden, die präzise getroffen werden müssen. Nach einer gewissen Zeit werden die für jede getroffene Zone erhaltenen Punkte zusammengezählt. Die Sportlerin muss sich also über einen längeren Zeitraum auf ein Ziel, in diesem Fall die Zone, konzentrieren (vgl. Schüler, Wegner & Plessner, 2020).

F. Kognitive Leistung in Abhängigkeit von sportlicher Expertise

Forschungsarbeiten zu kognitiven Expertenleistungen im Sport verfolgen in der Regel entweder einen expert performance approach, oder einen cognitive component skills approach. Ersterer vergleicht die kognitiven Leistungen von Expertinnen mit denen von Novizinnen in Bezug auf sportspezifische kognitive Aufgaben, letzterer in Bezug auf sportunspezifische kognitive Aufgaben.

F.1 Cognitive component skills approach

Die Ergebnisse der Metaanalyse von Scharfen und Memmert (2019) geben Hinweis auf bessere sportunspezifische kognitive Fähigkeiten von Elitesportlerinnen im Vergleich zu Novizinnen, die Effektgröße ist allerdings nur gering bis moderat. Der größte Effekt zeigte sich bei den visuell-perzeptuellen Fähigkeiten, wie unter anderem periphere Wahrnehmung und Aufmerksamkeitsfenster. In diesem Zusammenhang tritt die Nature-versus-Nurture-Debatte zutage, die hier auch als Hardware-Software-Analogie bezeichnet wird. Es stellt sich also die Frage, ob Elitesportlerinnen ihre Leistungen angeborenen besseren kognitiven Fähigkeiten (Hardware) zu verdanken haben, oder diese Folge von sportspezifischem Training (Software) sind. Aufgrund eines moderierenden Effekts der Sportart auf die kognitive Leistung sieht sport-neurowissenschaftliche Forschung sportspezifisches Training aber im Allgemeinen als einflussnehmenden Faktor auf die Gehirnplastizität an und vertritt damit vorwiegend den Software-Standpunkt (Voss et al., 2009). Zur endgültigen Beantwortung der Frage werden aber weitere longitudinale Studien benötigt, um die Zusammenhänge zwischen der Veränderung von kognitiven Fähigkeiten und der Veränderung von neuronalen Netzen bei Sportlerinnen zu untersuchen.

F.2 Expert performance approach

Mann et al. (2007) fassten in einer Metaanalyse die perzeptuell-kognitiven Unterschiede zwischen Expertinnen und Novizinnen bei sportspezifischen Aufgaben zusammen. Die Autoren kamen zu folgenden Ergebnissen:

  • Reaktionsgenauigkeit: Expertinnen zeigen signifikant häufiger eine angemessene Reaktion auf einen dargebotenen Stimulus (mittlere Effektgröße). Der Effekt ist umso größer, je realitätsnäher der präsentierte Reiz im Experiment war (Foto < Video < Feldexperiment).
  • Reaktionszeit: Expertinnen reagieren signifikant schneller als Novizinnen (mittlerer Effektgröße). Der Effekt ist am größten für Sportlerinnen aus Rückschlagsportarten, gefolgt von Mannschaftssportarten und schließlich Präzisionssportarten.
  • Anzahl der Blickfixierungen: Expertinnen zeigen signifikant weniger Blickfixierungen als unerfahrene Sportlerinnen (kleine bis moderate Effektgröße).
  • Dauer der Blickfixierungen: Die visuellen Fixierungen von Expertinnen dauern signifikant länger als die von Nicht-Expertinnen (kleine bis moderate Effektgröße). Der Effekt ist für Präzisionssportlerinnen am größten.
  • Quiet Eye: Expertinnen zeigen signifikant längere Quiet-Eye-Perioden als weniger qualifizierte Sportlerinnen (mittlere bis große Effektgröße).

Insgesamt bietet die derzeitige Evidenz also Belege für eine - insbesondere sportspezifische - bessere kognitive Leistungsfähigkeit von Elitesportlerinnen, unter anderem in den Bereichen Wahrnehmung, Antizipation und Aufmerksamkeit im Vergleich zu Novizinnen. Allerdings ist anzumerken, dass der Großteil der Studien Querschnittsstudien darstellen, weshalb zum einen die oben erwähnte Nature-versus-Nurture-Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann und zum anderen keine Rückschlüsse auf Kausalitäten gezogen werden können (etwa ob eine bestimmte visuelle Suchstrategie tatsächlich zu besserer Leistung führt). Darüber hinaus ist der Begriff Expertin nicht eindeutig definiert, sodass die Einteilung in bestimmte Experten-Level in Studien unterschiedlich erfolgt, was ihre Vergleichbarkeit erschwert.

G. Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsprozesse als Voraussetzung für sportliche Leistung

Den Ball im Zweikampf sicher von der Gegnerin abschirmen, gleichzeitig die Mitspielerinnen im Blick behalten, um eine Möglichkeit zum Zuspiel zu erkennen, während die Zurufe der Trainerin im lautstarken Fangesang fast untergehen. Aufmerksamkeitsprozesse sind in solch komplexen (Sport-)Situationen für die Auswahl handlungsrelevanter Informationen zuständig und somit für die selektive Wahrnehmung in Form bewusster sensorischer Erfahrungen verantwortlich. Es kann zwischen selektiver Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeitsorientierung, geteilter Aufmerksamkeit und Konzentration differenziert werden. Der Schwerpunkt sportpsychologischer Aufmerksamkeitsforschung lag bislang vorwiegend auf der selektiven und geteilten Aufmerksamkeit. Untersuchungen zur selektiven Aufmerksamkeit identifizieren information-rich areas, die für Antizipationsprozesse wichtige Hinweise enthalten. Forschung zur geteilten Aufmerksamkeit widmet sich in Form von Doppelaufgaben-Paradigmen vorwiegend der Unaufmerksamkeitsblindheit sowie den Lern- und Leistungsauswirkungen von internalen beziehungsweise externalen Aufmerksamkeitsfokussierungen, wobei ein externaler Aufmerksamkeitsfokus von Vorteil zu sein scheint. Insbesondere bei sportspezifischen Aufgaben zeigen Expertinnen bessere Wahrnehmungs-, Antizipations- und Aufmerksamkeitsleistungen als Novizinnen.

Aufs Feld

Aufmerksamkeitsprozesse sind insbesondere in Spielsportarten von großer Relevanz. Durch verbale oder visuelle Hinweise auf information-rich areas kann die Antizipationsleistung verbessert werden, allerdings muss bedacht werden, dass eine entsprechende Aufmerksamkeitslenkung auch die Unaufmerksamkeitsblindheit verstärken und die Spielkreativität einschränken kann. Zur Verbesserung der geteilten Aufmerksamkeit können im Training Doppelaufgaben zur Anwendung kommen. Ein externaler Aufmerksamkeitsfokus scheint einem internalen sowohl in Hinblick auf das Lernen als auch bezüglich der Leistung überlegen zu sein und sollte aus diesem Grund gefördert werden.

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