Text: Judith Begiebing | Sparring: Leon Cassian Hammer | Korrektorat: Selina Eckhardt | Stimme: Friederike Niermann |
- Übergewicht und Fettleibigkeit im Kindes- und Jugendalter sind äußerst prävalent und stellen ein massives Gesundheitsrisiko dar
- Trainingsinterventionen bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen scheinen einen kleinen bis moderaten Effekt auf die Reduktion des BMI zu haben
- Die größte Effektivität auf anthropometrische Messungen und metabolische Charakteristika zeigen ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining
A. Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter: ein globales Gesundheitsproblem
Die Prävalenz von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen steigt kontinuierlich an und stellt eine globale Gesundheitskrise dar. Von 1975 bis 2016 ist die Prävalenz von übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 19 Jahren von 4% auf 18% gestiegen, womit 2016 über 340 Millionen Kinder und Jugendlichen übergewichtig oder adipös waren (WHO, 2021). Die WHO beziffert die im Jahr 2019 übergewichtigen oder adipösen Kinder unter fünf Jahren auf circa 38,3 Millionen (5,6%).
Fettleibigkeit im Kindesalter ist mit einem erhöhten Risiko für Adipositas, frühzeitigen Tod und Behinderung im Erwachsenenalter assoziiert (Reilly & Kelly, 2011; Sommer & Twig, 2018). Zudem kann es bei adipösen Kindern zu muskuloskelettalen Beschwerden (Paulis et al., 2014), motorischen Entwicklungsstörungen (Cataldo et al., 2015) und frühen Anzeichen kardiovaskulärer Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Hyperlipidämie und Insulinresistenz kommen (Reilly et al., 2003). Bereits junge adipöse Kinder können an Asthma (Egan et al., 2013), Lebererkrankungen und Typ 2 Diabetes erkranken (Daniels, 2009). Ebenso kann Fettleibigkeit bei Kindern mit psychologischen Beeinträchtigungen, wie Depressionen, geringem Selbstwert und Angststörungen einhergehen (Griffiths et al., 2010; Lindberg et al., 2020; Sutaria et al., 2019).

B. Ätiologie von Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen
Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist multifaktoriell bedingt und schließt unter anderem Aspekte bezüglich Ernährung, Aktivität, Umwelt und Verhalten ein.
Das häusliche Umfeld stellt insbesondere in der Ätiologie kindlicher Fettleibigkeit oftmals einen wichtigen Faktor dar. So spielen Eltern eine wichtige Rolle bei der Essensauswahl und physischen Aktivität ihrer Kinder. Beispielsweise fungieren Eltern als „ernährungsbezogener Gatekeeper“, beeinflussen also zu einem Großteil was vom Kind gegessen wird. Zudem besteht eine starke Assoziation zwischen elterlicher Unterstützung (Beteiligung, beispielsweise in Form von Coaching, außerdem Förderung, Zuspruch, Bereitstellen von Transportmöglichkeiten und Equipment etc.) und körperlichem Aktivitätslevel ihrer Kinder (Gustafson & Rhodes, 2006).
Darüber hinaus kann eine adipogene Umwelt, also Adipositas fördernde Umwelteinflüsse, das energiebilanzbezogene Verhalten von Kindern und Jugendlichen direkt und indirekt beeinflussen. Beispiele hierfür sind Marketing, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit energiereicher Nahrungsmittel sowie das allgemeine Streben nach sitzend vor dem Bildschirm verbrachter Zeit, bei gleichzeitig reduzierter körperlicher Aktivität.
Hinzu kommen psychologische, hormonelle und genetische Faktoren, die zur Komplexität in der Entstehung von Übergewicht und Adipositas beitragen. Die Vielschichtigkeit des Themas und der einflussnehmenden Faktoren wird insbesondere dann deutlich, wenn grafische Aufarbeitungen wie die „Obesity Map“ von Kopelmann aus dem Jahr 2009 betrachtet werden.
B.1 Körperliche Aktivität und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen
Sowohl selbst berichtete Daten als auch objektive Messungen zeigen, dass übergewichtige und adipöse Kinder und Jugendliche die Aktivitätsempfehlungen der WHO nicht erreichen. Kelley et al. (2021) schätzten, dass etwa 52% der männlichen adipösen Schüler im Highschool-Alter und 72,7% der weiblichen adipösen Schülerinnen im Highschool-Alter nicht an fünf oder mehr der letzten sieben Tagen für mindestens 60 Minuten täglich körperlich aktiv waren. Das Nichterreichen der Aktivitätsempfehlungen bei sechs- bis 17-Jährigen scheint mit höherem Alter, weiblichem Geschlecht und höherem Gewicht in Zusammenhang zu stehen. Insbesondere weibliche adipöse Kinder und Jugendliche sind also weniger aktiv als übergewichtige und normalgewichtige Kinder und Jugendliche (Chung et al., 2012). Eine negative Assoziation zwischen körperlicher Aktivität und Fettleibigkeit konnte mehrfach nachgewiesen werden (Jiménez-Pavón et al., 2010; Miguel-Berges et al., 2018). Dies unterstützt zwar die Hypothese, dass höhere Level physischer Aktivität protektiv gegen Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen wirken können, dennoch darf nicht fälschlicherweise von einer kausalen Beziehung ausgegangen werden.
C. Behandlungsansatz für das Management kindlicher und jugendlicher Fettleibigkeit
C.1 Einstufen und Dokumentieren des Gewichtsstatus
Die Begriffe Normalgewicht, Übergewicht und Fettleibigkeit basieren auf verschiedenen Methoden zur Bestimmung des Ausmaßes an Körperfett und dessen Effekt auf das Risiko für Krankheit und Sterblichkeit. Problematisch an den Methoden ist, dass keine einheitliche Definition dazu vorliegt, wie viel Körperfett als gesund beziehungsweise ungesund zu betrachten ist.
In der klinischen Praxisleitlinie der Endocrine Society (Styne et al., 2017) wird empfohlen Kinder und Jugendliche anhand des BMI zu diagnostizieren. Kinder über zwei Jahren werden als übergewichtig diagnostiziert, wenn ihr BMI zwischen der 85ten und 95ten Perzentile ihres Geschlechts und Alters liegt. Übersteigt der BMI die 95te Perzentile werden Kinder und Jugendliche als adipös diagnostiziert. Bei der Einstufung muss bedacht werden, dass auch eine höhere fettfreie Masse zu einem erhöhten BMI beiträgt.
Der Gewichtsstatus sollte laufend während und nach der Intervention dokumentiert werden.
C.2 Anamnese, körperliche Untersuchung und Labortests
Im anamnestischen Gespräch sollte von der Ärztin der Gewichtsverlauf, bisherige Versuche zum Gewichtsverlust, Lebensstilfaktoren, soziale und psychische Faktoren, Medikamenteneinnahme und Erkrankungen sowie Barrieren und Fazilitatoren für den Gewichtsverlust erfasst werden. Durch Labortests und eine körperliche Untersuchung sollte die Patientin auf Begleiterkrankungen der Adipositas, wie Bluthochdruck, Dyslipidämie und Diabetes mellitus untersucht werden.
C.3 Besprechen der Diagnose mit Patientin und Eltern
Die Kommunikation sollte respektvoll, empathisch und einfühlend unter Verwendung angemessener Begrifflichkeiten erfolgen. Sämtliche Behandlungsoptionen sollten mit der Patientin und den Eltern besprochen werden.
C.4 Verhaltensinterventionen
Empfohlen werden sollten neben diätetischen Modifikationen, bestenfalls in Zusammenarbeit mit einer Ernährungsberaterin, täglich körperliche Aktivität von mindestens einer Stunde sowie weniger als zwei Stunden sitzende nichtakademische Aktivitäten (Cardel, et al., 2019; Cardel et al., 2020). Zudem sollten Strategien zur Verhaltensänderung, wie Selbstbeobachtung, Zielsetzung und Stimuluskontrolle gefördert werden. Bei psychologischen Problemen sollte eine psychologische Therapie in die Behandlung mit einbezogen werden.
C.5 Pharmakologische Interventionen
Medikamente sind bei Kindern und Jugendlichen mit einem BMI von über 120% der 95ten Perzentile ihres Alters und Geschlechts oder bei einem BMI oberhalb der 95ten Perzentile mit mindestens einer Begleiterkrankung indiziert (Cardel et al., 2019). Pharmakologische Interventionen sollten nur in Kombination mit Verhaltensinterventionen zum Einsatz kommen.
C.6 Operative Therapie
Bariatrische Chirurgie kann bei Kindern und Jugendlichen mit einem BMI von über 140% der 95ten Perzentile ihres Alters und Geschlechts oder bei einem BMI von über 120% der 95ten Perzentile ihres Alters und Geschlechts mit mindestens einer Begleiterkrankung in Erwägung gezogen werden (Cardel et al., 2019).
D. Nichtpharmakologische und nichtoperative Behandlung von Übergewicht und Fettleibigkeit im Kindes- und Jugendalter
Die grundlegenden Prinzipien des Gewichtsmanagements bei Kindern und Jugendlichen unterscheiden sich nicht von jenen bei Erwachsenen. Diese sind zum einen die reduzierte Energieaufnahme und zum anderen der erhöhte Energieverbrauch, mit dem Ziel einer Gewichtsreduktion beziehungsweise Verzögerung weiterer Gewichtszunahme. Die Erstlinien-Behandlung sind Verhaltensinterventionen zur Lebensstilmodifikation, welche eine oder mehrere der Komponenten Ernährung, physische Aktivität und Verhalten (z.B. Reduktion der im Sitzen verbrachten Zeit, Techniken zur Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils) beinhalten. Verhaltenstherapien sind oftmals familienbasiert, seltener richten sich diese ausschließlich an die Eltern.
D.1 Evidenz zu Verhaltensinterventionen bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen
D.1.1 Übergewichtige und adipöse Kinder bis zum Alter von sechs Jahren
Familienbasierte Mulitkomponenten-Behandlung bestehend aus Diät, physischer Aktivität und Verhaltenstherapie sind effektiver als Kontrollinterventionen zur Reduktion von BMI und Körpergewicht bei Vorschulkindern und scheinen damit eine wirksame Behandlungsmethode in dieser Altersgruppe darzustellen (Colquitt et al., 2016). Die Effekte sind wahrscheinlich klinisch signifikant und halten auch zwei Jahre nach der Intervention an. Die derzeitige Evidenz ist allerdings äußerst limitiert und weist ein hohes Biasrisiko auf.
D.1.2 Übergewichtige und adipöse Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren
Im Vergleich zu Kontrollinterventionen oder keiner Therapie führen Interventionen zur Verhaltensänderung (Diät und/ oder physische Aktivität und/ oder Verhaltenstherapie) zu einer größeren Reduktion von BMI, BMI z-Score und Körpergewicht bei Kindern zwischen sechs und elf Jahren (Mead et al., 2017). Multikomponenten-Behandlungen können also effektiv für eine kurzfristige und geringe Reduktion von Gewicht, BMI und BMI z-Score bei Kindern dieser Altersgruppe sein. Die allerdings nur geringe Reduktion dieser anthropometrischen Messungen scheinen klinisch nicht relevant für die Verringerung der Fettleibigkeit und Verbesserung der metabolischen Gesundheit zu sein. Die Qualität der entsprechenden Evidenz ist gering.
Es bestehen keine Subgruppen-Unterschiede in der Effektivität unterschiedlicher Interventionen (Diät/ physische Aktivität/ Verhaltenstherapie allein) auf die Outcomes BMI, BMI z-Score und Gewicht.
D.1.3 Übergewichtige und adipöse Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren
Evidenz geringer Qualität zeigt im Vergleich zur Kontrollgruppe eine größere Reduktion von BMI und BMI z-Score durch Interventionen zu Diät und/oder körperlicher Aktivität und/oder Verhalten bei übergewichtigen und adipösen Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren (Al-Khudairy et al., 2017). Die Effekte können 18 bis 24 Monate nach der Intervention beibehalten werden. Ebenso sind die genannten Interventionen in dieser Altersgruppe effektiver bezüglich der Reduktion des Körpergewichts als Kontrollinterventionen, die Qualität der entsprechenden Evidenz ist moderat. Ob die Effekte auf BMI, BMI z-Score und Gewicht allerdings von klinischer Relevanz sind, ist fraglich.
Evidenz geringer Qualität zeigt außerdem einen moderaten Effekt auf gesundheitsbezogene Lebensqualität.
Es bestehen keine Subgruppen-Unterschiede bezüglich der unterschiedlichen Interventionen.
D.2 Evidenz zu Trainingsinterventionen bei Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht oder Fettleibigkeit
Ergebnisse mehrerer Metaanalysen deuten darauf hin, dass Trainingsinterventionen bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen einen kleinen bis moderaten Effekt auf Reduktion des BMI sowie einen kleinen Effekt auf Körpergewicht, Fettmasse, Körperfettanteil und Taillenumfang haben (Kelley et al., 2015, Routsalainen et al., 2015, Stoner et al., 2016). Kelley et al. (2015) schätzten, dass circa 22 Millionen Kinder weltweit ihren BMI durch ein regelmäßiges Training reduzieren könnten.
Zudem untersuchten Stoner et al. (2016) die Auswirkungen von Trainingsinterventionen auf metabolische Charakteristika und konnten einen großen Effekt auf Insulinwerte sowie einen moderaten Effekt auf Glukosewerte im Anschluss an einen oralen Glukosetoleranztest feststellen. Auch moderate Effekte auf HOMA-Index (Homeostasis Model Assessment) und systolischen Blutdruck, welche als klinisch relevant angesehen werden können, wurden beobachtet. Weiterhin wurden signifikante Effekte auf LDL-Cholesterin, Triglyceride, Nüchterninsulin und Nüchternglukose berichtet (Kelley et al., 2019).
Routsalainen et al. (2015) stellten einen kleinen Effekt von Trainingsinterventionen auf die körperliche Aktivität fest, welcher sich aber nicht signifikant von der Kontrollgruppe unterschied. Eine Kombination aus Trainingsintervention und physischer Aktivität fördernden Maßnahmen (Verhaltensmanagement, Informationsmaterial, Motivational Interviewing, soziale Unterstützung) scheint jedoch effektiver als alleinige Trainingsinterventionen zu sein.
D.2.1 Training oder Diät?
Diät als alleinige Intervention scheint bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen zu einer größeren Reduktion im BMI als alleinige Trainingsinterventionen zu führen (Ho et al., 2013). Jedoch erscheint dies insbesondere dann nicht verwunderlich, wenn Krafttraining in der Intervention zur Anwendung kommt: die Diätgruppe könnte an fettfreier Körpermasse verloren und/oder die Trainingsgruppe an fettfreier Körpermasse gewonnen haben.
Die Kombination von Diät und Trainingsinterventionen scheint hingegen zu größeren Verbesserungen von HDL-Cholesterin-Leveln, Nüchterninsulin und Nüchternglukose zu führen, als eine alleinige Diätintervention.
D.2.2 Ausdauertraining oder Krafttraining?
Kelley et al. (2017; 2019) bewerteten sowohl Ausdauertraining als auch kombiniertes Ausdauer- und Krafttraining bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen als effektiv, ordneten aber kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining als am effektivsten vor alleinigem Ausdauertraining und alleinigem Krafttraining bezüglich der Reduktion des BMI z-Scores, der Fettmasse sowie des Körperfettanteils ein. Zur Reduktion des BMI war den Autoren zufolge alleiniges Ausdauertraining am effektivsten.
Als effektiver bewerteten García-Hermoso et al. (2018) kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining im Vergleich zu alleinigem Ausdauertraining zudem nicht nur in Bezug auf anthropometrische Messungen, sondern auch auf metabolische Charakteristika (LDL-Cholesterin, Nüchterninsulin, HOMA-Index, Adinopectin). Kelley et al. (2019) bestätigten die Ergebnisse für Nüchterninsulin, nicht allerdings für LDL-Cholesterin, bezüglich dessen Ausdauertraining als am effektivsten eingestuft wurde. Weiterhin beurteilten die Autoren kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining als wirksamste Trainingsintervention für eine Erhöhung von HDL-Cholesterin sowie eine Reduktion der Nüchternglukoselevel. Alleiniges Ausdauertraining wurde als am effektivsten zur Reduktion des Gesamtcholesterins und der Triglyceride eingestuft. Zu einer statistisch signifikanten Reduktion von systolischem und diastolischem Blutdruck scheint es sowohl durch alleiniges Ausdauertraining, als auch durch kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining zu kommen (Kelley et al., 2021).
D.2.3 Trainingsdosierung
Die optimale Trainingsdosierung zur Gewichtsreduktion bei Kindern und Jugendlichen kann bislang nicht genau bestimmt werden. Zwar zeigt die derzeitig verfügbare Evidenz eine lineare Beziehung zwischen Trainingsdosis und Gewichtsverlust, allerdings muss angemerkt werden, dass die im Großteil der Studien verschriebene Trainingsdosis, mit circa 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche, gering war. Somit bleibt offen, ab welcher Trainingsdosis keine weiteren Verbesserungen mehr zu erwarten sind (Stoner, et al. 2019).
E. Warum Trainingsinterventionen nicht wirken könnten
Durch den im Zuge eines Trainings erhöhten Energieverbrauch kommt es theoretisch zu einer Unterbrechung der Energiebilanz. Der mit dem trainingsinduzierten Energiedefizit assoziierte Gewichtsverlust könnte aber durch verschiedene Kompensationsmechanismen beeinträchtigt werden - dem Energiedefizit wird also durch das regulatorische System entgegengewirkt. Diese Kompensationsmechanismen können in verhaltensbezogene und metabolische sowie automatische und willentliche Antworten eingeteilt werden (s. Tab. 1).
Metabolisch | Verhaltensbezogen | |
---|---|---|
Automatisch |
|
|
Willentlich |
|
Tab.1: Kompensatorische Mechanismen in Folge von Training; eigene Darstellung in Anlehnung an King et al. (2007)
Verhaltensbezogene Kompensationsmechanismen stellen eine größere Barriere für den Gewichtsverlust dar als metabolische. Dies beruht auf dem Konzept einer größeren Rolle der Energieaufnahme, welche zu 100 Prozent durch Verhalten bestimmt wird. Im Vergleich dazu wird der Energieverbrauch nur zu 20 bis 60 Prozent durch Verhalten bestimmt.
Die dargestellten Kompensationsmechanismen legen eine Erklärung dar, warum es bei manchen Patientinnen zu einem geringeren Gewichtsverlust durch Training als erwartet kommen kann. Die Inter-individuelle Variabilität bezüglich Art und Umfang der Kompensationen ist dabei groß, weshalb ein individuelles Trainingsprogramm anstatt eines standardisierten Ansatzes auch im Zusammenhang mit dem Ziel eines Gewichtsverlusts anzuraten ist. Während manche Patientinnen von einer alleinigen Trainingsintervention profitieren können, kann bei anderen eine Ernährungskontrolle und/ oder Verhaltensanpassungen vonnöten sein.
F. Adipositas - eine Erkrankung
Fettleibigkeit ist eine komplexe chronische Krankheit mit sowohl multifaktoriellen Ursachen als auch multivariabler Manifestation. Ein Heilmittel gegen Fettleibigkeit gibt es nicht und ähnlich wie andere chronische Krankheiten bedarf auch Adipositas einer lebenslangen Behandlung. Empfohlen wird ein Behandlungskontinuum bestehend aus verhaltensbezogener, pharmakologischer und/ oder operativer Therapie. Die Schlüsselkomponente in der Behandlung stellen aber Multikomponenten-Behandlungen einschließlich der Bestandteile Ernährung, körperliche Aktivität und Verhaltensstrategien zur Modifikation von Verhalten und Lebensstil dar.
Ein individualisiertes Training spielt dabei nicht nur bezüglich Körpergewicht und -zusammensetzung eine wichtige Rolle, sondern auch zur Aufrechterhaltung der kardiometabolischen Gesundheit. Kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining kann kardiovaskuläre Risikofaktoren und mit Fettleibigkeit in Zusammenhang stehende entzündliche Prozesse reduzieren.
Übergewicht und Fettleibigkeit im Kindes- und Jugendalter sind ein weltweites Gesundheitsproblem und bedürfen einer umfassenden und multidisziplinären Behandlungsstrategie. Dennoch kann eine effektive Reduktion kindlicher und jugendlicher Fettleibigkeit auf Bevölkerungsebene nicht allein durch Prävention und Behandlung im klinischen Umfeld erreicht werden. Hierfür bedarf es umfangreicher Veränderungen in sozialen und kulturellen Normen, in verschiedenen Sektoren, wie Regierung, Bildung, Gesundheitswesen, Absatzwirtschaft und Lebensmittelindustrie sowie im Umfeld von Schulen, Arbeitsstätten und Gemeinden.
In der Behandlung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sollte neben Ernährungs- und Verhaltensinterventionen ein körperliches Training zum Einsatz kommen, wobei ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining die größte Effektivität zeigt. Die optimale Trainingsdosierung ist derzeit nicht eindeutig festzulegen, wobei verfügbare Studien mit einer durchschnittlichen Trainingsdosierung von etwa 150 Minuten pro Wochen einen höheren Gewichtsverlust bei einer höheren Trainingsdosis feststellten.
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