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Training 2: Trainingsprinzipien
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Text: Anna Wargel | Sparring: Judith Begiebing | Korrektorat: Leon Cassian Hammer | Stimme: Friederike Niermann |

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Im Sprint

- Aufgrund von biologischen und nicht-biologischen Filtern sowie der Anpassungsreserve kann es zu individuellen Unterschieden in Stressreaktion und Anpassung auf denselben Trainingsreiz kommen, weshalb eine Individualisierung des Trainings notwendig ist

- Spezifität (auch SAID-Prinzip: specific adaption to imposed demands) besagt, dass Anpassungen vom einwirkenden Trainingsstimulus bestimmt werden, wobei Transfereffekte möglich, aber nicht garantiert sind

- Eine systematische Steigerung der körperlichen Anforderungen wird als Overload bezeichnet, welcher die sekundären Trainingsprinzipien wirksamer Reiz, Reversibilität, Belastungsfolge, Pausen-Belastungsgestaltung, Periodisierung und Zyklisierung sowie Variation und Progression umfasst

A. Überblick

Um der Sportlerin zu ihrem Ziel zu verhelfen, bedarf es eines zielorientierten Steuerungsprozesses. Dieser setzt sich aus Zielsetzung, Planung, Durchführung und Analyse zusammen.

Dieser Steuerungsprozess verfolgt das übergeordnete Ziel einer systematischen und intendierten Anpassung des Körpers nach einem Trainingsreiz. Hierbei ist zu beachten, dass Sportlerinnen unterschiedlich auf den gleichen oder wiederholten Trainingsreiz reagieren können.

Unabhängig davon, ob Leistung entwickelt, erhalten oder wiederhergestellt werden soll oder ob degenerative Alterungsprozesse durch Bewegung verlangsamt werden sollen, kommen Trainingsprinzipien gleichermaßen im Leistungs-, Breiten-, Gesundheits- sowie Rehabilitationssport zum Einsatz. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich eine Vielzahl dieser theoretischen Prinzipien etabliert. Je nach Bezugssystem und Sprachraum wird in der Literatur von bis zu 20 verschiedenen Prinzipien berichtet. Grundlegend kann zwischen primären und sekundären Trainingsprinzipien unterschieden werden. Die primären Trainingsprinzipien

  1. Individualität
  2. Spezifität
  3. Progressiver Overload

bilden bei der Trainingsplanung und Leistungsentwicklung einen soliden Rahmen. Die sekundären Prinzipien sind den primären untergeordnet, wobei die wissenschaftliche Evidenz zum Teil nur unzureichend gesichert ist (Donath & Faude, 2019).

Eine kritische Betrachtung und Berücksichtigung der verfügbaren Evidenz je nach Sportart, Leistungsstand und Hauptbeanspruchungsform (Ausdauer, Kraft etc.) im Rahmen eines integrativen Ansatzes der Trainingsprinzipien wird demnach empfohlen.

In Abbildung 1 sind die primären und sekundären Trainingsprinzipien dargestellt.

Abbildung 1: Übersicht der primären und sekundären Trainingsprinzipien

B. Individualität

B.1 Das “Filtern” des Trainingsinputs

Die Annahme, dass lediglich mechanische Belastungsparameter direkt die biologischen Trainingsanpassungen bedingen, scheint überholt zu sein. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass auch Einflüsse nicht biologischen Ursprungs, biologische Anpassungen bewirken können. Der Mensch ist auch im Trainingskontext als ein individuelles, komplexes System zu verstehen, welches mit unterschiedlichsten und emergenten Eigenschaften einhergeht. Diese Eigenschaften fungieren sozusagen als Filter. Diese Filter modifizieren den Output des gesetzten Trainingsreizes, welcher sich schließlich als individuelle Anpassungsreaktion manifestieren kann. Die genetische Prädisposition, der Ernährungszustand und die Trainingsgeschichte stellen solche Filter dar, die allgemein anerkannt sind. Kiely (2018) plädiert jedoch für weitere Filter, welche einen psycho-emotionalen Ursprung (= nicht-biologischer Ursprung) haben und sich ebenfalls auf die biologische Adaptation auswirken.

Folgend in Abbildung 2 eine Auswahl von biologischen und nicht-biologischen Filtern, welche die trainingsinduzierte Stressreaktion personalisieren (Kiely, 2018):

Abbildung 2: Auswahl biologischer und nicht-biologischer Filter (nach Kiely, 2018)

B.2 Mögliche Einflussfaktoren der Anpassungsreaktion

Aufgrund dieser Basis ist es nicht verwunderlich, dass bei gleicher Trainingsgestaltung die Anpassungsreaktion einer hohen inter- und intraindividuelle Variabilität unterliegt. Dies konnte bereits auch mehrfach wissenschaftlich gezeigt werden:

  • Studie 1 (Bouchard & Rankinen, 2001): Maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) konnte nach 20 Wochen Ausdauertraining zwischen 0 und 100 % gesteigert werden. (n = 720)
  • Studie 2 (Hubal et al., 2005): Maximalgewicht (1RM) konnte nach 12 Wochen Krafttraining um 0 bis 250 % gesteigert werden, während die Muskelgröße sich dabei in einem Spektrum von -2 (!) bis +59 % veränderte. (n = 585)

Sogenanntes Non- bzw. Poor-response auf einen Trainingsreiz stellt keine Seltenheit dar und wird auch mit einem individuell zu geringem Trainingsreiz assoziiert.

Neben der zeitlichen Komponente ist auch die Anpassungsreserve (siehe Abb. 3) individuell determiniert und limitiert. Unter Anpassungsreserve wird die Differenz zwischen der genetisch bedingten maximalen Leistungsgrenze und der aktuell erbrachten Leistung verstanden. Vor allem bei Hochleistungssportlerinnen mit minimaler Anpassungsreserve ist eine Individualisierung von entscheidender Bedeutung. Bei untrainierten Sportlerinnen und Freizeitsportlerinnen scheint hingegen eine Individualisierung für eine Leistungssteigerung noch nicht zwingend erforderlich zu sein. Es empfiehlt sich jedoch eine Individualisierung konstruktiv zu reflektieren, da auch bei Freizeitsportlerinnen eine optimale Ausschöpfung des Potenzials zu einem effizienteren Training führt.

Zudem konnten Crum und Kolleg*innen (2007) herausstellen, dass die kognitive Einstellung des Trainees zu einer körperlichen Tätigkeit die biologischen Anpassungseffekte nachhaltig beeinflussen kann (z.B. Gewicht, Körperfett, Blutdruck).

Abbildung 3: Individuelle absolute und relative Adaptationsreserve in Abhängigkeit von der aktuellen Funktionskapazität (Martin et al., 1991)

B.3 Dokumentation der Adaptation

Die primäre Aufgabe der Trainerin besteht also darin, die individuellen und tagesabhängigen Anpassungsreserven des Trainees aus mehreren Blickwinkeln zu evaluieren.

Mittels Monitoringsystemen (HRV, HF, Befindlichkeitsskalen, Leistungsmessgeräten) können kurz- und langfristige Reaktions- und Anpassungsverläufe der Athletin dokumentiert werden, wobei neben den Leistungsparametern auch die Regenerationsparameter beachtet werden sollten. Ein Goldstandard existiert für die Erfassung der Trainingsbeanspruchung jedoch nicht, denn alle verfügbaren Methoden weisen klare Vor- und Nachteile sowie mögliche Messfehler auf. Demnach ist eine Parameterkombination aus mehreren physiologischen und psychometrischen Daten bis dato die beste Wahl (Lambert, 2010). Diese Daten können herangezogen werden, um im Kontext von Sportart, Geschlecht, Trainingsstatus und Ziel, eine effiziente Trainingssteuerung zu gewährleisten.

C. Spezifität

C.1 Aspekte der Spezifität

Das Prinzip der Spezifität besagt, dass die Art der Beanspruchung des Körpers die Art der Anpassung bestimmt. Die Adaptionen sind also reizspezifisch und hängen vom einwirkenden Trainingsstimulus ab (Frequenz, Intensität, Typ und Zeit → siehe D. Overload). Hierbei ist anzumerken, dass neben den bewusst eingesetzten Trainingsreizen auch unbewusste Reize auf die Sportlerin einwirken können, wie eta ein nasser Rasen, welcher als Umweltbedingung zu verstehen ist. Häufig wird das SAID-Prinzip (specific adaption to imposed demands) als Synonym für Spezifität verwendet.

Folgende Aspekte, die eine wesentliche Rolle im Prinzip der Spezifität haben, sind sowohl für die Trainingsgestaltung als auch die Trainingskonzeption von besonderer Bedeutung (Reilly et al., 2009):

Diese einzelnen Aspekte adaptieren immer auf die Art und Weise, in der sie trainiert werden.

C.2 Transfereffekte zwischen unterschiedlichen Disziplinen

Je nachdem, wie unterschiedlich oder ähnlich die Aspekte der Spezifität in den Sportarten sind, können Transfereffekte von einer auf die andere Disziplin entstehen. In der Meta-Analyse von Behm und Kolleg*innen (2017) konnte bei Jugendlichen gezeigt werden, dass Explosivkrafttraining einen positiven Einfluss auf die Sprunghöhe hat und sich traditionelles Krafttraining positiv auf die Sprintleistung auswirken kann.

Im Kontext des Gleichgewichtstrainings konnten Sherrington und Kolleginnen (2017) zeigen, dass durch Gleichgewichtstraining die Sturzrate von Seniorinnen gesenkt werden konnte. Auch bei Sportlerinnen konnte eine geringere Verletzungsrate durch Gleichgewichtstraining erzielt werden, wobei sich dieser Effekt nur auf Strukturen bezieht, die bereits verletzt waren, beispielsweise Rerupturen (Hrysomallis, 2007). Dennoch sind die Effekte von Balancetraining, welche nicht unbedingt auf das Gleichgewichtstraining selbst zurückzuführen sind (siehe Beitrag “Propriozeptives Training überprüft”), sehr aufgabenspezifisch. Ein Übertrag von trainierten auf untrainierte Gleichgewichtsaufgaben ist nicht zu erwarten. In einer Studie von Giboin und Kolleginnen (2016) hatte das Training des statischen Gleichgewichts (Kippbrett) keine Auswirkung auf das dynamische Gleichgewicht (Posturomed) und umgekehrt.

Spezifität ist auch in Teamsportarten von Bedeutung: Impellizzeri et al. (2006) konnten zeigen, dass sportartspezifische Trainingsformen (Kleinfeldspiele) ebenso wie klassische intervallartige Trainingsformen die maximale Sauerstoffaufnahme steigern und die Ausdauerleistungsfähigkeit verbessern. Somit ist es möglich, die aerobe Leistungsfähigkeit zu steigern und zeitgleich sportartspezifisch zu trainieren.

Das Auftreten von Transfereffekten ist jedoch nicht immer gewährleistet und je nach Bezugssystem sogar eher unwahrscheinlich. Als grundlegende Mechanismen hierfür werden trainingsreizspezifische Signalkaskaden, zelluläre Antworten oder neuromuskuläre Reiz-Reaktions-Muster diskutiert.

C.3 Trainingsgestaltung für optimale Adaptation

Beanspruchte Energiesysteme, Trainingsmodus, involvierte Muskelgruppen und Körperposition machen ein Training spezifisch, dabei sind Transfereffekte möglich, jedoch nicht garantiert. Vor allem bei Sportarten mit Kraft- und Ausdauerkomponenten (z.B. Triathlon) sollte die Reizreihenfolge in der Trainingsgestaltung beachtet werden, da die Anpassungsreaktion gegebenenfalls durch konkurrierende Signalwege beeinflusst werden kann (Concurrent Training; Schuhmann et al., 2015). Die genauen Mechanismen des konkurrierenden Trainings sind jedoch noch nicht zur Gänze verstanden, weshalb weitere Forschung indiziert ist (Hawley, 2009).

Das Prinzip der Spezifität gilt auch für Team- und Rückschlagsportarten. Obwohl die Ausübung der Sportart selbst sicherlich die beste Möglichkeit darstellt, die Performance der Sportlerin zu verbessern, so kann die richtige Anwendung des Prinzips der Spezifität dazu führen, dass auch andere Trainingsmaßnahmen zu einer Optimierung der Leistung führen. Um einen möglichst großen Nutzen aus dem Training zu ziehen, sollten wiederholte Trainingsdrills beziehungsweise Small-sided Games so gestaltet werden, dass die motorischen und physiologischen Wettkampfanforderungen widergespiegelt werden (Reid et al., 2008).

D. Overload

D.1 Ein kurzer Reminder und grundlegende Einsichten

Sheppard et al. (2016) definieren Overload als eine systematische Steigerung der körperlichen Anforderungen. Also ein Training, dessen Intensität höher ist, als die Sportlerin es gewohnt ist. Hierunter fallen die sekundären Trainingsprinzipen, die im Folgenden näher erläutert werden.

Wirksamer Reiz

Insbesondere der trainingswirksame Reiz bildet eine zentrale Grundlage für die Trainingssteuerung. Nach der Reizstufenregel bewirken (Strüder et al., 2016):

  • unterschwellige Reize eine negative oder ausbleibende Anpassung
  • schwache überschwellige Reize eine Funktionserhaltung
  • überschwellige Reize eine positive Anpassung
  • zu starke Reize eine Leistungsabnahme

Eine Trainingswirksamkeit ergibt sich, wenn an der unteren Schwelle für das Auslösen von positiven Anpassungen trainiert wird. Diese unterscheidet sich je nach aktueller Funktionskapazität und langfristiger Anpassungsreserve. Bei Untrainierten liegt die untere Reizschwelle deutlich niedriger bei gleichzeitig größerer Anpassungsreserve im Vergleich zu Trainierten (Martin et al., 1991).

Reversibilität

Unter Reversibilität wird die unterschiedlich schnelle und starke Rückbildung von Trainingsanpassungen je nach Bezugssystem (z.B. Kraft vs. Ausdauer) und Zielgruppe verstanden.

Belastungsfolge

Die Belastungsfolge besagt, dass das Training von Ausdauer und Kraft separiert werden sollte. Dies hängt damit zusammen, dass jeweils konkurrierenden Signalwege aktiviert werden, welche die Leistung negativ beeinflussen können. Es liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Einhalten der Pausenzeiten und Reihenfolge (je nach Schwerpunkt). Ausdauerathleten sollten beispielsweise zuerst Krafttraining, dann Ausdauertraining durchführen (Psilander et al., 2015). Es werden zwischen sechs Stunden (optimale Kraftentwicklung) und 24 Stunden (optimale VO2max-Anpassung) Erholung zwischen Kraft- bzw. Ausdauertraining empfohlen (Robineau et al., 2016).

Pausen-Belastungsgestaltung

Je nach Spezifität der Zielstellung kann das Belastungs- und Pausenverhältnis positiv oder negativ sein und sollte immer sportartspezifisch sein. Bei gleichem Gesamtworkload und gleicher Intensität wird der metabolische Stimulus durch die Länge der Belastung bestimmt.

Periodisierung und Zyklisierung

Bei der Periodisierung und Zyklisierung werden längere Entwicklungsphasen (Makrozyklen) und kürzere Entwicklungsphasen (Mesozyklen und Mikrozyklen) festgelegt. Zur Sicherstellung einer bestimmten individuellen Leistungsfähigkeit zu einem definierten Zeitpunkt oder Zeitraum, sind die unterschiedlichen Phasen durch unterschiedliche Trainingsziele und -inhalte gekennzeichnet (Donath & Faude, 2019). Dies ist vorwiegend bei zunehmender Leistungsfähigkeit notwendig. Grundlegend kann zwischen traditioneller Periodisierung und Blockperiodisierung unterschieden werden, auf die in einem kommenden Beitrag näher eingegangen wird.

Variation und Progression

Für eine optimale psycho-physische Anpassung der Sportlerin und um Stagnation sowie monotonem Training vorzubeugen, hat sich die Variation und Progression eines Trainingsstimulus als nützlich erwiesen.

D.2 Steuerungselemente der Belastung

Für die Praxis bedeutet das: Je untrainierter die Sportlerin, desto weniger relevant ist eine Feinabstimmung der Trainingsreize zur Auslösung von Anpassungserscheinungen. Vor allem bei untrainierten Sportlerinnen und Patientinnen ist es wichtig, regelmäßig einen trainingswirksamen Reiz zu setzen, um die Leistungsfähigkeit zu steigern (Fell & Williams, 2008).

Die folgende Auswahl an Belastungsnormativen kann im Trainingsprozess hilfreich sein:

  • Frequenz: Häufigkeit des Trainings pro Tag/Woche
  • Intensität: absolute, relative und subjektive Belastungsangabe
    - absolut: Tempo, Gewicht, Leistung
    - relativ: % der Vo2max, HRmax, % des 1RM
    - subjektiv: RPE, RIR
  • Typ: motorische Hauptbeanspruchungsform à energetisch determiniert vs. informationsorientiert
  • Zeit: Dauer bzw. Häufigkeit der Trainingsreize à Trainingsvolumen = Frequenz x Zeit

= F.I.T.Z.

Diese Komponenten sind Steuerungselemente der qualitativen und quantitativen Belastung im Training und müssen abhängig von Trainingsziel und -inhalt sorgfältig ausgewählt werden. Hierdurch kann maßgeblich auf die akuten motorischen, physiologischen und neuromuskulären Reaktionen, welche zu langfristigen Adaptationen führen, Einfluss genommen werden.

Abhängig vom Trainingsziel und unter Nutzung der RPE-Skala, bietet die folgende Abbildung eine erste (!) Orientierung (Helms, 2016):

Abbildung 4: Erste Orientierung für ein zielgerichtetes Training unter Nutzung der RPE-Skala und den Wiederholungszahlen (Helms, 2016)

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